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Gossau ZH
10.09.2024
24.09.2024 14:45 Uhr

Gemeindeversammlung sagt Ja zu «Rössliwiese 2»

Die Teilnehmerzahl an der Gemeindeversammlung vom 9. September 2024 war mit 221 Stimmberechtigten überdurchschnittlich hoch.
Die Teilnehmerzahl an der Gemeindeversammlung vom 9. September 2024 war mit 221 Stimmberechtigten überdurchschnittlich hoch. Bild: Barbara Tudor
Die Genehmigung für den Baukredit von 2,865 Mio. Franken für einen Erweiterungsbau für Schutzsuchende musste wegen eines Verfahrensfehlers nochmals vor die Gemeindeversammlung. Diese stimmte nun deutlich Ja – und lehnte eine Abstimmung an der Urne ab.

Der Antrag für den Erweiterungsbau in Unter-Ottikon zur Unterbringung von Asylsuchenden musste einen langen Weg nehmen. Bereits an der Gemeindeversammlung vom 10. Juni 2024 war der Baukredit über rund 3 Mio. Franken traktandiert. Nachdem ein Stimmbürger beantragte, den Baukredit an die Urne zu bringen und dies vom benötigten Drittel der Stimmberechtigten gutgeheissen wurde, sollte die Vorlage an die Urne kommen. Vor ein paar Wochen informierte der Gemeinderat dann, dass die Vorlage aufgrund eines Verfahrensfehlers während der Juni-Gemeindeversammlung erneut vor die Gemeindeversammlung muss.

Das Thema schien zu bewegen. Denn am 9. September 2024 fanden sich aussergewöhnlich viele Stimmberechtigte in der Reformierten Kirche Gossau zur Versammlung ein. Den Gemeindepräsidenten Jörg Kündig freute es. Nach der Zählung gab er 218 Stimmberechtigte an. Die Zahl wurde während der Versammlung auf 221 erhöht, da drei Personen nach der Zählung noch eingetroffen waren. Mit 7'300 Stimmberechtigten in Gossau ZH lag die Stimmbeteiligung also bei gut 3 Prozent.

Abstimmung mit langer Vorlaufzeit

Bis die 221 Stimmberechtigten allerdings über die Vorlage abstimmen konnten, mussten sie sich etwas gedulden. Einleitend wandte sich Gemeindepräsident Jörg Kündig mit ein paar Worten zur Flüchtlingssituation an die Anwesenden. Die Quotenerhöhung auf 1,6 % bringe die Gemeinden, auch Gossau, an ihre Belastungsgrenzen. Auch die Verlängerung des Schutzstatus S sei eine Herausforderung. Es gehe dabei nicht nur um die Unterbringung der Flüchtenden, sondern auch um personelle Ressourcen auf der Verwaltung und an den Schulen.

Auf Bundes- und Kantonsebene müsse mehr getan werden. Dafür würden sich die Gemeinden im Kanton Zürich einsetzen. Ihren Unmut hätten diese in einem gemeinsamen Schreiben an den Bundesrat formuliert. Die Antwort von Bundesrat Jans scheint ernüchternd gewesen zu sein.

«Auf Bundesebene kommen die Menschen an, die Gemeinden müssen sie aufnehmen. Die Gemeinden sind an unterster Stelle der Kaskade», formulierte es Kündig. Die Aufnahmequote in den Gemeinden sei vorgegeben, da gebe es kein «Wunschkonzert». Unter diesem Gesichtspunkt solle man die Rössliwiese-Vorlage betrachten.

Unveränderte Prognose

Gemeinderätin Sylvia Veraguth ging im Anschluss auf die Entwicklung der Aufnahmequote ein. Während diese im Frühling 2022 noch 0,5 % betrug, liegt sie seit Juli 2024 bei 1,6 %. Auf Gossau heruntergebrochen bedeutet das, dass 169 Personen aufgenommen werden müssen. Die Prognosen für 2024 seien unverändert, und auch fürs kommende Jahr rechne der Bund mit der gleichen Zahl an Schutzsuchenden.

Neben den personellen Ressourcen sei vor allem die Unterbringungssituation eine Herausforderung. Die Aufnahmequote könne mit eigenen Liegenschaften, Wohnraum in der Rössliwiese 1 und zugemieteten Wohnungen derzeit knapp erreicht werden. Rössliwiese 1 sei allerdings vollbesetzt.

Zumiete keine langfristige Lösung

Veraguth betonte, dass das Zumieten von Wohnraum auf dem offenen Wohnungsmarkt nicht die Lösung sein könne. «Alles, was wir zumieten, reduziert das Angebot für andere», erklärte Veraguth. Es müsse auch für ältere und junge Menschen zahlbaren Wohnraum in Gossau geben. Es liege nicht in ihrem Interesse, mit der Bevölkerung in Konkurrenz zu stehen. «Das Projekt Rössliwiese 2 hilft uns, adäquaten Wohnraum zu schaffen, den wir brauchen. Auch längerfristig», argumentierte Veraguth.

Neben Synergien mit der Rössliwiese 1, Synergien in der Betreuung und die Realisierungsmöglichkeit auf eigenem Land, sei auch der finanzielle Aspekt ein Zusatzargument. Vor acht Jahren habe sie der Gemeindeversammlung versprochen, dass Rössliwiese 1 finanziell aufgehen werde. Und so sei es auch: Rössliwiese 1 generiere durch die Wohnkostenpauschale des Kantons mehr Einnahmen als es koste. Es gehe nicht darum, Geld an Flüchtlingen zu verdienen. «Aber es gibt uns einen kleinen Deckungsbeitrag an die weiteren Kosten, die anfallen.» Mit dem Projekt Rössliwiese 2 wolle man dies nun wiederholen.

«Wir entscheiden nicht über die Bundespolitik und über die Kantonspolitik. Hier und jetzt können wir aber entscheiden, wie wir unseren gesetzlichen Auftrag gescheit umsetzen. Wir sind der Meinung, Rössliwiese 2 ist ein gescheites Projekt.»
Gemeinderätin Sylvia Veraguth

Keine Rössliwiese 3 geplant

Man habe selbstverständlich andere Optionen, Orte und Möglichkeiten geprüft. Man nehme auch neue Angebote ernst und prüfe diese. Sie seien aber kein Ersatz für Rössliwiese 2.

Man nehme auch die Rückmeldungen ernst, dass Ottikon mit Rössliwiese 1 und der geplanten Erweiterung genug trage. «Wir haben nicht vor, etwas Weiteres in Unterottikon zu entwickeln», versicherte Veraguth. Dies betonte auch Gemeinderätin Elisabeth Pflugshaupt. Es sei der feste Wille des Gemeinderates, dass es dabei bleibe. Man wolle keine Ghettoisierung. «Wir können nicht sagen, wir wollen die Menschen integrieren, sie dann aber irgendwo abschieben.»

Rössliwiese 2 soll rentabel sein

Berechnungen zufolge soll auch bei einer Belegung von nur 77 % ein Überschuss vorliegen. Weiter argumentierte Pflugshaupt, dass man den günstigen Wohnraum auch anderweitig nutzen könne, sollte sich die Flüchtlingssituation verändern. Wobei sie aufgrund der Weltlage derzeit nicht davon ausgehe.

Was, wenn's teurer wird?

In der anschliessenden Diskussionsrunde ergriff als erster jener Bürger das Wort, der bereits im Juni seine Ablehnung zur Vorlage kundtat. Er sagte, dass er das Projekt zwar eine gute Sache finde, er aber dennoch dagegen stimmen werde, um seine Stimme gegen den Bund zu erheben, der den Bürgern immer mehr aufzwinge.

Auch der Bürger, der im Juni den Antrag auf eine Urnenabstimmung gestellt hatte, wandte sich erneut an die Versammlung und machte zu Beginn weg klar: «Ich werde wieder eine Urnenabstimmung beantragen». Für ihn sei die Vorlage eine Mogelpackung. Denn er befürchte, dass man die Kosten so gedreht habe, dass man unter 3 Mio. Franken komme und damit den Gang an die Urne verhindern konnte.

Auch stellte er die Frage in den Raum, wie man damit umgehe, wenn es massive Mehrkosten geben würde. «Die Schulden müssen dann unsere Kinder und Grosskinder tragen.» Elisabeth Pflugshaupt sagte zu den Kosten: «Wir haben bei allen Positionen eine Reserve eingerechnet und dazu noch eine allgemeine Reserve von 100'000 Franken eingebaut. Wir haben seriös gerechnet.»

«Die Zeit drängt»

Claudio Zanetti, Präsident der SVP Gossau, wandte sich ebenfalls mit ein paar Worten an die Versammlung. Es sei ein vernünftiges Geschäft, das gut dargelegt worden sei. Die Finanzen seien ein wichtiger Punkt, da renne man bei der SVP offene Türen ein, aber es gebe bessere Mittel: «Kommen Sie an die Budget-Gemeindeversammlung! Dort können wir Nägel mit Köpfen machen.»

Er sei grundsätzlich auch für Urnenabstimmungen, weil diese breiter abgestützt seien. Doch hier dränge die Zeit, und Urnenabstimmungen würden auch viel Geld kosten. «Sagen wir jetzt ja und verzichten wir auf eine weitere Runde», appellierte Zanetti an die Versammlung.

Ja für den Bau, Nein für die Urne

Die vorangegangenen Informationen des Gemeinderates und wohl auch der Appell von Claudio Zanetti haben die Gemeindeversammlung überzeugt. Die Vorlage wurde mit 151 Ja-Stimmen zu 59 Nein-Stimmen und 8 Enthaltungen deutlich angenommen. Der anschliessende Antrag auf Urnenabstimmung wurde – wenn auch weniger deutlich – abgelehnt. 64 Bürger waren für eine Urnenabstimmung, nötig gewesen wären 74 Stimmen.

Fragen zu Personalentwicklung, Fluktuation und externen Kosten

Im Anschluss an das Trakdantum Rössliwiese 2 wurden Anfragen gemäss Gemeindegesetz beantwortet. Ein Bürger wollte vom Gemeinderat wissen, wie sich das Personal in Vollzeitstellen (FTE) und die Fluktuation von 2019 bis 2024 in den einzelnen Abteilungen der Gemeindeverwaltung und der Schule entwickelt haben. Auch forderte er Angaben über die Entwicklung der Ausgaben für Dienstleistungen Dritter ein.

Die vom Gemeinderat vorgelegte Personal-Statistik zeigte, dass sich die Zahl der Vollzeitstellen in der Sozialabteilung fast verdoppelt haben (2019: 8.65 / 2024: 15.50). auch in der Liegenschaften-Abteilung wurde die Anzahl Stellen seit 2019 kontinuierlich erhöht von 28.98 auf heute 41.62 FTE.

Bei der Schule zeigt sich bei der Schulverwaltung die grösste Veränderung. Betrug diese im Jahr 2019 6.49 Vollzeitstellen, sind es im Jahr 2024 10.57.

Gemeindepräsident Jörg Kündig betonte, dass die Gemeinde Gossau ZH im kantonalen Vergleich «im vorderen Mittelfeld» liege. Im Sozialbereich gebe es durch höhere Aufnahmequoten mehr Aufwand und auch im Schulbereich würde der Aufwand durch wachsende Schülerzahlen und eine erhöhte Nachfrage nach Tagesstrukturen steigen. «Die Gemeinde setzt alles daran, eine hohe Dienstleistungsqualität zu bieten. Das erfordert finanzielle Mittel», so Kündig. Der Gemeinderat informiere regelmässig und transparent über die Entwicklung der Personalkosten, so auch an der Budget-Gemeindeversammlung.

Die Fluktuationsrate bei der Gemeindeverwaltung liegt im Zeitraum von 2019–2024 bei 12.63 %. Sie hatte im Jahr 2023 mit 17.39 % ihren Höchststand und liegt im 2024 aktuell bei 12.79 %. Die höchste Fluktuation verzeichnet die Finanzabteilung mit 18.75 %.

Bei der Schulverwaltung liegt die durchschnittliche Fluktuationsrate bei 15.23 %. Die höchste Fluktuation hatte die Schulverwaltung im Jahr 2020 mit 19.02 % und 2023 mit 17.1 %. 2024 liegt sie (Stand 31.7.24) bei 15.59 %. Die höchste Fluktuationsrate zwischen 2019–2024 weist der Bereich Schulleitung mit 23.33 % aus.

Bezüglich der Kostenentwicklung für Dienstleistungen durch Dritte (z. B. externe Sachverständige, rechtliche Abklärungen) zeigen sich die Jahre 2019 bis 2024 mit sehr unterschiedlichen Kosten. So lagen diese bei der Gemeindeverwaltung im Jahr 2019–2024 zwischen 1,68 Mio. Franken (2024) bis 2,9 Mio. Franken (2023). Im Bereich Bildung lagen diese zwischen 574'000 Franken (Stand 31.8.24) und 1 Mio. Franken (2020).

Der Bedarf an Fachexpertisen sei abhängig von den anstehenden Aufgaben. Die Kosten würden nicht linear steigen, sondern von Jahr zu Jahr variieren, erklärte Jörg Kündig. Aus Sicht des Gemeinderats gebe es keine besonderen Auffälligkeiten.

«Die Gemeindeverwaltung hat innerhalb von fünf Jahren 40 neue Stellen geschaffen. Das entspricht einem mittelgrossen Unternehmen.»
Stimmbürger

«Wir laufen in ein Defizit»

Der Absender der Fragen meldete sich daraufhin zu Wort. Er bedankte sich für die Ausführungen, übte aber Kritik an der Entwicklung. «Die Gemeindeverwaltung hat innerhalb von fünf Jahren 40 neue Stellen geschaffen. Das entspricht einem mittelgrossen Unternehmen.» Interessant sei die Begründung im Budget 2024, dass die Kosten höher ausfallen, weil man gewisse Aufgaben neu inhouse erledigt.

Die Kostenentwicklung sei unschön. «Wir laufen, wie hier schon mehrfach gesagt, in ein strukturelles Defizit in dieser Gemeinde bzw. sind schon mittendrin. Die Ausgaben sind grösser als die Einnahmen, für Investitionen fehlt das Geld. Schulden müssen irgendwann zurückbezahlt werden – durch uns oder durch unsere Kinder.» Dazu komme, wie man neulich in der Presse habe lesen können, verdeckte Schulden in der Gemeinde von 10 Mio. Franken.»

Als Sofortmassnahme im Bereich Personal solle man sich am Bund orientieren. Dieser senke nach einer Überprüfung die Ausgaben um 3 Prozent. «Das muss auch in Gossau möglich sein.»

Thema am Rande: Einheitsgemeinde

Damit war die offizielle Gemeindeversammlung beendet. Im Anschluss sprach der Gemeindepräsident ein Thema an, welches nicht auf der Traktandenliste war und auch nicht zum offiziellen Teil der Gemeindeversammlung gehörte: die Einheitsgemeinde. Er sei gebeten worden, ein paar Worte dazu zu sagen. Kündig listete die Vorteile der Einheitsgemeinde auf wie etwa die Synergienutzung, das einheitliche Budget und der einheitliche Steuerfuss. Als Nachteile formulierte er die Belastung der Behördenmitglieder und der Verlust der Unabhängigkeit einzelner Bereiche.

Dabei kam Kündig auch auf die Schulpflege zu sprechen, wo es «potenzielle Koordinationsprobleme und unterschiedliche Strukturen» gebe. Die Schulpflege sei immer noch eigenständig, könne zum Bespiel ein Geschäft direkt an die Gemeindeversammlung bringen. Eine vollständige Transparenz sei nicht möglich. Politische Gemeinde und Schulgemeinde seien zudem administrativ nach wie vor getrennt unterwegs. Auch hinsichtlich Kommunikation gebe es in der zweiten Amtsperiode noch «einige Herausforderungen».

War dieser doch eher zusammenhangslose thematische Einschub am Rande der Gemeindeversammlung ein Versuch, auf die derzeitigen Probleme an der Schule Gossau anzusprechen und sich gar von der Schulpflege zu distanzieren?

Rössliwiese 2

Neben der Rössliwiese 1, angrenzend an die Entsorgungsstelle Unter-Ottikon und das Feuerwehr-Depot, soll ein 2-stöckiger Erweiterungsbau mit 9 Wohneinheiten entstehen, der ca. 35 Personen Platz bietet.  Durch den modularen Aufbau können flexibel 2 1/2- bis 5-Zimmerwohnungen bereitgestellt werden. Der Ausschreibungsprozess startet in Kürze und wird Ende 2024 abgeschlossen. Der Beginn der Bauarbeiten ist auf März 2025 angesetzt.

Barbara Tudor