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Gossau ZH
29.06.2024
29.06.2024 07:16 Uhr

«Die Künzli-Baracken sind kein Ersatz für Rössliwiese 2»

Die Firma Künzli AG hat der Gemeinde ein Angebot unterbreitet für die Unterbringung von Flüchtenden. Die Gemeinde prüfe das Angebot. (Archivbild)
Die Firma Künzli AG hat der Gemeinde ein Angebot unterbreitet für die Unterbringung von Flüchtenden. Die Gemeinde prüfe das Angebot. (Archivbild) Bild: Google StreetView
Der Gemeinderat Gossau will aufgrund des hohen Bedarfs an Unterkünften für Flüchtende im Weiler Ottikon ZH einen Erweiterungsbau von rund 2.9 Mio. Franken vornehmen. Die Gemeindeversammlung verwies das Geschäft an die Urne. Zur Sprache kamen in dem Zusammenhang die Wohnbaracken der Firma Künzli AG und deren Angebot an die Gemeinde.

An der Gemeindeversammlung vom 10. Juni 2024 wurde im Zusammenhang mit dem Baukredit Rössliwiese 2 die Frage nach den «Künzli-Baracken» gestellt. Dabei erwähnte Gemeinderätin Sylvia Veraguth ein Schreiben von der Baufirma Künzli AG, welche der Gemeinde Unterbringungsmöglichkeiten in den Wohnbaracken auf ihrem Gelände angeboten habe. Wir haben diesbezüglich bei der Gemeinderätin nachgefragt.

Hatte die Gemeinde früher schon einmal Baracken von der Künzli AG gemietet?

Sylvia Veraguth: Es bestand ein auf 10 Jahre befristetes Mietverhältnis zur Unterbringung von Asylsuchenden in den Jahren 2009 bis 2019. Vertragspartnerin der Künzli AG war aber nicht die Gemeinde, sondern die Asylorganisation Zürich (AOZ), welche damals für die Betreuung zuständig war.

Kennst du die Situation der Baracken vor Ort?

Ich war vor mehreren Jahren letztmals vor Ort. Die aktuelle Situation werde ich im Hinblick auf ein allfälliges Mietverhältnis anschauen. Es handelte sich damals um einfache Zimmer entlang eines Korridors mit gemeinsam genutzter Kochgelegenheit und Bad.

Welche Vor- und Nachteile siehst du in den Baracken?

Diese Art von Kollektivunterkünften eignet sich primär für alleinstehende Männer. Für Familien mit Kindern oder alleinstehende Frauen sind sie nicht geeignet.

«Die Baracken sind kein Ersatz für die geplante Erweiterung Rössliwiese 2 in Ottikon, sondern eine mögliche Ergänzung.»
Sylvia Veraguth, Gemeinderätin Gossau ZH

Könnten die Künzli-Baracken eine Alternative für den Bau Rössliwiese 2 sein?

Nein, die Baracken stellen allenfalls ein ergänzendes Angebot dar, aus den bereits erwähnten Gründen. Am Projekt Rössliwiese 2 halten wir unverändert fest.

Es ist nötig, dass die Gemeinde über genügend eigene und flexibel nutzbare (Not-)Unterkünfte verfügt, wie es das bewährte Konzept der Rössliwiese darstellt. Sei es für Flüchtlinge oder andere Menschen, die in eine Notlage geraten.

Das Projekt Rössliwiese 2 ist auch aus finanzieller Sicht sinnvoll: Die Kosten lassen sich durch die Unterbringungspauschale, welche die Gemeinde erhält, decken. Wir können auf diese Weise unsere eigene Liegenschaft abzahlen, welche in Zukunft auch unabhängig von Flüchtlingskrisen für Menschen in Notlagen – auch für Schweizerinnen und Schweizer – zur Verfügung steht. Das Projekt Rössliwiese 2 steht somit auch nicht in Konkurrenz zu weiteren Investitionen der Gemeinde.

Die Baracken eignen sich für alleinstehende Männer, jedoch nicht für Familien, alleinstehende Frauen oder besonders belastete Menschen.

Seinerzeit waren Asylsuchende (Status N = im Verfahren, VOR einem Asylrechtsentscheid des Bundes) in den Baracken untergebracht, vorwiegend alleinstehende junge Männer und oftmals aus Nordafrika. Seither hat die Rechtsgrundlage geändert: mit Inkrafttreten des neuen Asylrechts im März 2019 wurden die Asylverfahren beschleunigt und Asylsuchende werden nicht mehr bereits während des Verfahrens den Gemeinden zugeteilt, sondern verbleiben in der Regel bis zum Asylrechtsentscheid in Bundes- oder Kantonszentren. Die erwähnte Personengruppe (alleinstehende junge Nordafrikaner) gelangt daher kaum mehr in die Gemeinden, da diese heutzutage kaum je Anrecht auf Asyl mit Bleiberecht hat. Demzufolge benötigen wir weniger klassische Kollektivunterkünfte als damals, sondern vielmehr Wohnraum für Familien oder Einzelpersonen mit Bleiberecht und mit dem gesetzlichen Auftrag zur Integration.

Ein Stimmbürger kritisierte an der Gemeindeversammlung, dass der kleine Weiler Ottikon den Grossteil der «Flüchtlingslast» der Gemeinde zu tragen hätte. Was sagst du zu diesem Kritikpunkt?

Das stimmt so nicht. Über 100 Personen, welche zur Aufnahmequote (zurzeit 137, ab 1. Juli 169 Personen) zählen, leben in den anderen Wachten. In der bestehenden Unterkunft Rössliwiese in Unterottikon wohnen aktuell 34 Menschen, wovon 27 zur Aufnahmequote zählen.

Zu beachten ist zudem, dass viele geflüchtete Menschen nicht (mehr) zur Aufnahmequote zählen. Es sind dies einerseits anerkannte Flüchtlinge (Status B), anderseits vorläufig Aufgenommene (Status F), die mehr als 7 Jahre in der Schweiz leben. Diese Personen leben über alle Wachten verteilt in Wohnungen, die sie in der Regel eigenständig finden und mieten.

«Die Baracken eignen sich für alleinstehende Männer, jedoch nicht für Familien, alleinstehende Frauen oder besonders belastete Menschen.»
Sylvia Veraguth

Gemäss Künzli AG hat sie der Gemeinde bereits Anfang Februar 2024 einen Brief mit einem Angebot zugeschickt, jedoch keine Antwort erhalten. Sie hätten darum am 14. März 2024 diesbezüglich per Mail nachgehakt. Was sagst du dazu?

Die Gemeinde steht mit der Künzli AG in Kontakt. Ich kann bestätigen, dass ein konkretes Angebot der Künzli AG für die Nutzung ihrer Unterkunft eingegangen ist. Wir prüfen dieses Angebot und werden gegebenenfalls mit der Künzli AG über die Konditionen verhandeln. Sobald Ergebnisse vorliegen, werden wir die Öffentlichkeit informieren.

Nachdem die Gemeindeversammlung den Baukredit an die Urne verwiesen hat: Was bedeutet diese Verzögerung für die Unterbringung der Flüchtenden in der Gemeinde hinsichtlich der neuen Aufnahmequote per 1. Juli?

Wir müssen die entsprechende Zeit weiter mit oftmals befristeten Mietverhältnissen überbrücken. Es wird knapp möglich sein, die neue Quote von 169 Personen bis ca. Ende Jahr zu erfüllen. Da es sich aber in vielen Fällen um befristete Zwischennutzungen handelt, bleibt das Problem akut, denn es fällt auch immer wieder Wohnraum weg.

Wann kommt das Geschäft an die Urne?

Dazu sind verschiedene Abklärungen im Gange. Wir werden den Terminplan an einer der nächsten Gemeinderatssitzungen diskutieren und die Öffentlichkeit anschliessend informieren.

Wie viele zusätzliche Unterbringungsmöglichkeiten braucht die Gemeinde Gossau in nächster Zeit, welche sie aktuell nicht durch eigene oder bestehende Lösungen nicht erbringen kann?

Wie bereits erwähnt, sind viele Mietverhältnisse befristet. Das heisst, wir sind laufend an Angeboten interessiert und dankbar, wenn diese der Gemeindeverwaltung gemeldet werden.

Ist mit einer weiteren Erhöhung der Aufnahmequote zu rechnen?

In diesem Jahr wird das kaum stattfinden. Aber wie sich die Situation in einem Jahr zeigt, ist fraglicher. Wir entscheiden das aber nicht auf der Ebene der Gemeinde, sondern müssen uns gegebenenfalls damit arrangieren. Es ist zentral, dass die übergeordneten Strukturen bei Bund und Kanton optimal funktionieren und auch die Zusammenarbeit international klappt.

Die Erfüllung der Aufnahmequote ist eine gesetzliche Aufgabe. Damit die Gemeinde in der Lage ist, diese zu erfüllen, braucht es geeigneten und flexibel nutzbaren Wohnraum. Das Erweiterungsprojekt in der Rössliwiese ist deshalb unverzichtbar. Auch aus finanzieller Sicht ist das Projekt optimal, da die Kosten durch die Unterbringungspauschale des Bundes finanziert werden können.

Daneben wird es immer weitere und verschiedene Angebote brauchen, welche wir dazumieten. Diese Möglichkeiten sollten nicht gegeneinander abgewogen, sondern vielmehr sinnvoll kombiniert werden.

Das Interview wurde schriftlich geführt.

Künzli-Baracken

Auf dem Areal der Firma Künzli AG in der Gossauer Industrie besteht ein Containerdorf, das früher zur Beherbergung von Saisoniers diente. Heute leben darin temporär angestellte Mitarbeitende.

Wie es auf Anfrage bei der Künzli AG heisst, können der Gemeinde 18 Einzelzimmer angeboten werden mit Etagenbad, modernen Küchen und Aufenthaltsräumen.

Barbara Tudor