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Kommentar
Gossau ZH
15.11.2025
15.11.2025 13:56 Uhr

Ein Gesetz für die Katz

Der Gemeinderat Gossau hat ein Gesetz geschaffen, das niemandem nützt. (Symbolbild)
Der Gemeinderat Gossau hat ein Gesetz geschaffen, das niemandem nützt. (Symbolbild) Bild: pixabay.com
Die Polizeiverordnung der Gemeinde Gossau verbietet seit diesem Jahr das Einschalten von Weihnachtsbeleuchtung vor dem 1. Advent. Warum das Gesetz für die Katz ist und warum es sich lohnt, keine Gemeindeversammlung mehr zu verpassen. Ein Kommentar von Barbara Tudor.

Seit Juli 2025 gilt die neue Polizeiverordnung, die im vergangenen Jahr überarbeitet und der Gemeindeversammlung vom 18. November 2024 vorgelegt wurde. Die Verordnung enthielt etliche Anpassungen, darunter auch neu hinzugefügte Artikel. Einer davon ist ein Verbot von gewerblicher und privater Weihnachtsbeleuchtung vor dem 1. Advent sowie nach dem 6. Januar. Ausserdem werden die Beleuchtungszeiten eingeschränkt. Von 24.00 Uhr bis 6.00 Uhr müssen die Beleuchtungen ausgeschaltet werden (Zürioberland24 berichtete).

Ich wage zu behaupten, dass der Grossteil der Gossauer Bevölkerung von diesem Artikel schlichtweg nichts wusste. Von einem Artikel, der aber den Grossteil der Gossauer Bevölkerung und eine Vielzahl der Haushalte ganz persönlich betrifft. Und beschäftigt, wie die Kommentare in den sozialen Medien und auch die Kontaktaufnahmen in unserer Redaktion zeigen.

Ein Mann sagte zu mir: «Ich habe vor kurzem mehrere Familienangehörige verloren. Die Lichter geben mir Kraft in der dunklen Jahreszeit.» Geht es nach dem Gesetz, müsste er seine Weihnachtsbeleuchtung bis am 30. November ausschalten. «Ich empfinde es als massiver Eingriff in meine Privatsphäre. Ich bezahle für den Strom schliesslich selbst.»

Wusste die Gemeindeversammlung, worüber sie abstimmt?

Bezüglich Gemeindeversammlung vom 18. November 2024 wage ich zu behaupten, dass auch die 232 Teilnehmer, von denen gerade einmal 122 effektiv Ja zur Polizeiverordnung gestimmt haben, nichts von dem neuen Artikel gewusst haben.

Nach der intensiven Diskussion über das Budget und zu vorgerückter Stunde, hatte der für die Polizeiverordnung zuständige Gemeinderat Salvatore Giorgiano offensichtlich keine Lust, auf die einzelnen Punkte einzugehen. Der damals hörbar gesundheitlich angeschlagene Giorgiano war zwar in der Lage, auf einzelne Punkte wie eine Änderung bei der Parkordnung einzugehen, doch die Sache mit der Weihnachtsbeleuchtung – ein ganz neu hinzugefügter Passus notabene – schien nicht wichtig genug. Oder man wollte das Geschäft ganz einfach so schnell wie möglich über die Bühne bringen, weil ja im Zusammenhang mit der Polizeiverordnung auch noch das geplante Verbot von lärmendem Feuerwerk bevorstand.

Fakt ist: Der Gemeinderat hielt es nicht für nötig, die Versammlung über den neuen Artikel zu informieren. Gemeindeschreiber Thomas-Peter Binder sagte dazu auf Anfrage von Zürioberland24: «Es bestand weder Notwendigkeit noch Anlass, auf alle der zahlreichen Änderungen im Detail einzugehen.»

Wird der Bürger richtig informiert?

Dass der Gemeinderat nun argumentiert, man habe gesetzeskonform vorgängig amtlich publiziert und die Stimmberechtigten hätten an der Versammlung die Möglichkeit gehabt, Fragen zu stellen, ist mehr als fragwürdig. Denn wie soll ein Stimmberechtigter eine Frage zu einem Artikel stellen, den er gar nicht kennt?

Ich komme nicht umhin, zu fragen: Kann man von einem Bürger erwarten, dass er im Vorfeld Gesetzestexte wälzt und synoptische Gegenüberstellungen liest, ehe er an die Gemeindeversammlung geht? Oder darf dieser treue Bürger darauf vertrauen, dass er – unabhängig von vorgängigen amtlichen Publikationen – vor Ort an der Versammlung transparent und gezielt über Änderungen und Neuerungen informiert wird? Denn dies tut der Gemeinderat ja auch stets dann, wenn es um Anliegen geht, die er unbedingt durchbringen will.

Dass das Unterlassen von Informationen nicht gut für den Gemeinderat endet, sollte er nach der Gemeindeversammlung vom 18. November 2024, spätestens aber nach dem unrühmlichen Vorgehen in Bezug auf den geplanten Asylcontainer-Bau im Wohnquartier Rebhaldenstrasse, von dem niemand wusste und für dessen Vorgehen ihn der Bezirksrat gerügt hat, gemerkt haben.

Ein Déjà-vu

Wie der Gemeinderat auf Anfrage von Zürioberland24 sagte, sei der Artikel über die Weihnachtsbeleuchtung aufgrund von «einzelnen Einwohnerinnen und Einwohnern» aufgenommen worden. Da habe ich ein Déjà-vu. Aufgrund von wenigen Stimmen liess der Gemeinderat eine wichtige Verbindungsstrasse in Gossau sperren, die für tausende Bewohner von Bedeutung ist. Das Argument, dass man die Weihnachtsbeleuchtung auch wegen Umwelt- und Naturschutz einschränke, klingt eher als Rechtfertigung im Nachhinein als echte Bedeutung.

Aufgrund welcher Fakten?

Diesbezüglich frage ich mich, auf welchen Fakten der Entscheid beruhte. Um eine solche Einschränkung zu rechtfertigen, müsste es in den vergangenen Jahren schon im Oktober und November sowie im Januar zu massiv höherem Stromverbrauch in Gossau gekommen sein. Auch müsste man Zahlen kennen, wie es hinsichtlich Lichtverschmutzung in der Gemeinde Gossau im Vergleich zu anderen Gemeinden aussieht. Doch über den Tellerrand bzw. über die Gemeindegrenzen zu schauen, ist ja anscheinend nicht die Aufgabe des Gemeinderats. «Es ist grundsätzlich nicht am Gemeinderat Gossau, die Polizeiverordnungen anderer Gemeinden zu bewerten oder zu kommentieren», sagte Gemeindeschreiber Thomas-Peter Binder dazu.

Hipp per du und dennoch fern der Leute

Der Gemeinderat mag formal korrekt über Gesetzesänderungen informieren. Sich dahinter zu verstecken, ist leicht. Tatsache ist, dass er den Grossteil der Bevölkerung mit seinen Informationen und gewählten Informationskanälen nicht erreicht.

Der Kritiker könnte behaupten, dass ihm das beim einen oder anderen Geschäft gerade recht ist und amtliche Publikationen bewusst zu Zeiten publiziert werden, wo niemand draufschaut. So zum Beispiel bei der wichtigen amtlichen Publikation über die Sperrung der Haldenstrasse, die am 19. Juli 2024, also just in der ersten Sommerferienwoche, publiziert wurde. In einer Zeit, wo die Bürger sicher alles andere im Kopf haben, als im Liegestuhl am Strand amtliche Nachrichten zu wälzen und Rekurs einzulegen.

Auch ist es höchst fraglich, dass der Gemeinderat seit März 2024 die Verhandlungsberichte des Gemeinderats nicht mehr auf der Gemeinde-Homepage publiziert. Die Begründung der Gemeinde auf Anfrage: Man habe die Kommunikation «professionalisiert», u.a. mit sozialen Kanälen, und daher beschlossen, diese nicht mehr zu publizieren. Ich kann als Bewohnerin von Gossau beim besten Willen keine Verbesserung erkennen. Ganz im Gegenteil.

Apropos «Professionalisierung»: Seit Frühling 2024 betreibt die Gemeindeverwaltung soziale Kanäle und publiziert dort hübsche Bilder mit Kurzinformationen zu Geschäften und Neuigkeiten, zum Beispiel, wann die nächste Grüngutabfuhr ist. Hinweise mit Direktlink auf amtliche Publikationen findet man kaum, obwohl die Gemeinde fast wöchentlich amtliche Mitteilungen auf epublikation.ch publiziert.

Man ist in den sozialen Kanälen hipp per du mit den Leuten. Doch mir scheint, dass sich der Gemeinderat und auch die Gemeindemitarbeiter je länger je mehr von der Bevölkerung entfernen. Sie scheinen vergessen zu haben, wer ihre eigentlichen Auftraggeber und Geldgeber sind. Es sind vor allem die Menschen von Gossau.

Das jüngste Beispiel zeigt: Der Gossauer Gemeinderat informiert und politisiert teilweise an der Bevölkerung vorbei. Mit Blick auf die bevorstehenden Erneuerungswahlen sollten wir uns die Frage stellen: Fühlen wir uns von jenen, die erneut zur Wahl antreten, gut vertreten, wertgeschätzt und ernstgenommen? Oder ist es Zeit für einen Wechsel?

Ab an die Gemeindeversammlungen!

Das jüngste Beispiel zeigt aber ebenso deutlich: Auch die Bürgerinnen und Bürger sind in der Pflicht. Sie müssen sich mit politischen Themen auseinandersetzen, wenn sie keine Überraschungen wie die der Weihnachtsbeleuchtung erleben wollen. Denn sie können nicht darauf vertrauen, dass der Gemeinderat oder politische Behörden über die amtliche Pflicht weitergehend transparent informieren.

Die Bürgerinnen und Bürger – ob jung oder alt – müssen wohl oder übel auch synoptische Gegenüberstellungen von Texten und beleuchtende Berichte lesen, auch wenn sie langweilig und trocken scheinen und zuweilen kompliziert sind. Das Wichtigste aber ist: Die Gossauerinnen und Gossauer sollten keine Gemeindeversammlung verpassen. Und sie sollten die Frage, ob Gesetzesartikel oder andere Inhalte im Detail ausgeführt werden sollen, auch zu später Stunde mit Ja beantworten.

Es kann nicht sein, dass ein paar wenige über Gesetze bestimmen, die tausende Gossauer betreffen. Die Faust im Sack machen bringt nichts, sich im Nachhinein via Social Media ärgern, ebenso wenig.

Es braucht die Auseinandersetzung mit Themen, die Präsenz und kritische Fragen vor Ort. Es braucht die Presse, welche sich Mühe und Zeit nimmt, Themen aufzugreifen, zu hinterfragen, nachzufragen. Damit man unsinnige Gesetzestexte wie die der Weihnachtsbeleuchtung schon im Keim ersticken kann, bevor ein administrativer Apparat hochgefahren wird, die den Steuerzahler wiederum viel Geld kostet.

Apropos: Ein Blick auf die Themen der nächsten Gemeindeversammlung lohnt sich gerade jetzt, darunter zum Beispiel auf die Teilrevision der Bau- und Zonenordnung und auf das Budget 2026. Denn fürs kommende Jahr steigen die Personalkosten in der Gemeindeverwaltung erneut markant an – obwohl sich der Steuerzahler letztes Jahr klar gegen ausufernde Personalkosten ausgesprochen und eine Budgetreduktion gefordert hat.

Nächste Chance am 17. November

Die nächste Gelegenheit, aktiv am politischen Leben in der Gemeinde teilzuhaben, kommt schon am kommenden Montag, 17. November. Dann findet die nächste Gemeindeversammlung statt, um 20 Uhr in der Ref. Kirche Gossau. Wer noch nichts von der Gemeindeversammlung gehört hat, dem sei hier geholfen:

Die Themen:

  • Kreditantrag für Umnutzung Turnhalle Berg 2 über Fr. 490'000.–
  • Budget 2026 der politischen Gemeinde
  • Teilrevision der Bau- und Zonenordnung und Zonenplan (BZO)

> Infos und Unterlagen

«Das neue Gesetz fördert nicht das Miteinander, es fördert das Gegeneinander.»
Barbara Tudor

Gesetz fördert Bünzlitum

Das neue Gesetz schafft kein Miteinander, kein gegenseitiges Verständnis und schon gar keine besinnliche Weihnachtszeit. Es fördert das Anschwärzen und Denunzieren von Nachbarn. Denn mit dem neuen Gesetz kann jetzt der Bünzli-Schweizer, der sich schon lange über die alljährliche Weihnachtsbeleuchtung vom Nachbarn aufregt, schnurstracks zur Polizei rennen, wenn der Nachbar es wagt, seine Weihnachtsbeleuchtung vor dem 1. Advent einzuschalten – oder oh weh – sie vielleicht bis 00.30 Uhr brennen lässt, weil die in die Jahre gekommene mechanische Zeitschaltuhr nicht so genau arbeitet wie ein Schweizer Uhrwerk. Das vergiftet nicht nur die Stimmung in der Nachbarschaft, es beschert Gemeinde und Polizei auch unnötig Arbeit.

Wer bestimmt, was eine Weihnachtsbeleuchtung ist?

Mehr als fraglich ist dieses neue Gesetz auch deshalb, weil völlig unklar ist, was als Weihnachtsbeleuchtung gelten soll. Entscheidet das der Gemeinderat? Hat er zusammen mit der Polizei, die ja für die Einhaltung des Gesetzes zuständig ist, ein Weihnachts-Beleuchtungs-Katalögli erstellt, das – am besten schön bebildert – festhält, was als Weihnachtsbeleuchtung gilt?

Gehören Lämpli, die man auf der Sommerterrasse nachts einschaltet und auch gleich im Winter benutzt, auch dazu? Muss Weihnachtsbeleuchtung besondere Merkmale wie Sternli oder Rentiere aufweisen, damit es in diese Kategorie fällt? Und gehören auch Solarleuchten, die zwar keinen Strom verbrauchen, aber dennoch für Lichtverschmutzung sorgen, auch dazu?

Was kommt als Nächstes?

Auch kann man sich fragen: Was kommt als Nächstes? Denn wer den neuen Gesetzesartikel genau gelesen hat, der weiss: Der Gemeinderat kann auch weitere Einschränkungen verordnen.

Wird bei der nächsten Überarbeitung der Polizeiverordnung dann auch noch ein Punkt eingefügt, der Sommerbeleuchtung wie Girlanden verbietet? Gartenfeuer, Fackeln und Finnenkerzen, weil sie angeblich die Umwelt verschmutzen?

Ja, die Zeiten sind düster. In Gossau noch etwas düsterer.

Barbara Tudor
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