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Schweiz
23.12.2025
23.12.2025 09:03 Uhr

Ein letztes Mal «20 Minuten»

Am 13. Dezember 1999 ist das erste «20 Minuten» erschienen. Künftig gibt es die grösste Schweizer Zeitung nur noch online.
Am 13. Dezember 1999 ist das erste «20 Minuten» erschienen. Künftig gibt es die grösste Schweizer Zeitung nur noch online. Bild: 20 Minuten
Heute ist die letzte gedruckte Ausgabe der Gratiszeitung «20 Minuten» erschienen. Damit endet eine Ära, welche die Schweizer Presselandschaft und das Leseverhalten grundlegend verändert hat.

Ich erinnere mich gut, als ich – damals für die «Zürichsee-Zeitungen» tätig – zum Bahnhof Stäfa gegangen bin, um mir ein Exemplar von diesem ominösen neuen «20 Minuten» aus einer der blauen Boxen zu holen.

Angefangen in der Deutschschweiz, zählt «20 Minuten» mit einer Druckauflage von 280‘000 Exemplaren über 1,3 Millionen Leser. Das Online-Portal 20min.ch ist das reichweitenstärkste Newsportal in der Schweiz.

Medienwelt verändert

Gratiszeitungen waren in der damals noch medienreichen Schweiz zwar nichts Neues, aber eine, die schweizweit verteilt wird und sozusagen «en masse» überall aufliegt, schon.

Mit der ersten Ausgabe am 13. Dezember 1999 wurde die Schweizer Medienlandschaft grundlegend verändert – nicht nur zum Guten. Einerseits, was die Vermarktung von Zeitungen anbelangt, andererseits was das Leseverhalten der Menschen und ihre Einstellung gegenüber der Pressearbeit betrifft.

Jüngeres Publikum erreicht

Anfangs von den traditionsreichen Bezahlmedien belächelt, hat «20 Minuten» es – mit reichlich Investorengeld – geschafft, dass mehr Menschen Zeitung lesen. Gerade Junge bzw. Jüngere wurden erreicht. Dass auch junge Menschen heute mehr lesen als noch vor 20 Jahren, ist das Erfreuliche an der Geschichte.

Der Haken: Junge Menschen, die mit der Einstellung aufwachsen, dass Nachrichten kostenlos verfügbar sind – heute nicht mehr nur gedruckt, sondern auch zu jeder Tageszeit online – haben dem Qualitätsjournalismus geschadet. Gehörte einst eine abonnierte Tageszeitung fast in jeden Schweizer Haushalt, sinken die abonnierten Auflagen seit Jahren kontinuierlich.

Gefährliche Negativ-Spirale

Die Negativ-Spirale fing spätestens mit der Lancierung von «20 Minuten» unweigerlich an zu drehen: Die für die Medien so wichtigen Werbeauftraggeber – sie sind sowohl für Gratis- wie auch für abonnierte Medien essenziell – wurden von «20 Minuten» magisch angezogen – und sind geblieben. Die Online-Werbemöglichkeiten mit Google & Co. haben den Abgang der wichtigen Werbegelder von Print hin zu Online noch verstärkt.

Mit einem Schlag konnten überregional und national tätige Unternehmen wie Grossverteiler oder Telekomanbieter mit Hilfe von «20 Minuten» die ganze Schweiz erreichen. Schön fürs Portemonnaie von TX Group AG, der Herausgeberin von «20 Minuten» und anderen Titeln wie dem «Tages-Anzeiger», schlecht für alle anderen, kleineren Medien. Die Folge: Sparmassnahmen überall in den Redaktionen. Was das bedeutet, dürfte allen klar sein: Ein Abbau von publizistischem Inhalt und damit von Qualität.

500 Stellen weg

Davon betroffen ist TX Group AG selbst, ja man könnte sagen, dass sie sich mit «20 Minuten» langfristig kannibalisiert hat. Alleine die TX Group AG (vormals Tamedia) hat in den letzten zehn Jahren ca. 400 Stellen abgebaut. Alleine mit dem Einstellen der Printausgabe von «20 Minuten» gehen ca. 80 Arbeitsplätze verloren. Und es folgen weitere Stellenverluste, u.a. durch die Schliessung von grossen Druckzentren der TX Group in den nächsten Jahren.

War Journalistin bzw. Journalist einst ein angesehener Beruf mit vielen Chancen, überlegen sich junge Leute heute zweimal, ob sie in dieses Metier eintreten wollen.

Medienverlust eine Gefahr für die Demokratie

Vor hundert Jahren gab es in der Schweiz noch um die 500 (Lokal-)Zeitungen, heute ist es gerade mal noch die Hälfte. Natürlich hängt das nicht alleine von «20 Minuten» ab. Doch die Demokratie hat nicht zuletzt aufgrund der Entwicklung der Schweizer Presselandschaft gelitten. Vor allem regionale Zeitungen und auch Lokalmedien, die keine grossen Investoren im Rücken haben, mussten aufgrund der schwindenden Abo- und Inserateneinnahmen aufgeben.

Meldungen aus der Welt können von Verlagen verhältnismässig günstig von Agenturen wie SDA oder Keystone eingekauft werden. Regional- und Lokalnachrichten dagegen sind für Verlage teuer in der Herstellung. Die Folge: Die Menschen können sich zwar über Mord und Todschlag aus der ganzen Welt informieren und wissen, was die (Cervelat-)Prominenz in der Schweiz und auf dem Globus so treibt. Doch Medien, die über das, was vor Ort in den Gemeinden geschieht und beispielsweise über kommunale Themen informiert, welche unser Leben ganz direkt betreffen, haben es zunehmend schwer.

Dass die politischen Gemeinden ihre amtlichen Publikationen nicht mehr in den Lokalmedien publizieren, sondern sich auf die Online-Veröffentlichung auf ihren Homepages beschränken, hat den Medien weitere wichtige Gelder entzogen. Jenen Medien, welche gerade die Arbeit der Behörden verfolgen. Es ist fraglich, ob die reine Online-Publikation auf den wenig besuchten Gemeinde-Webseiten im Sinne des «Service public» für die Einwohnerinnen und Einwohner der Gemeinden ist.

Dass gerade die so wichtigen Lokalmedien von der Presseförderung des Bundes ausgeschlossen sind – begünstigt werden lediglich die grossen Verlage wie TX Group, Ringier, CH Media und die NZZ Mediengruppe – sorgt für ein weiteres Ungleichgewicht in der Medienlandschaft.

Auch Online-Medien kosten Geld

Dass die (teure) gedruckte Ausgabe von «20 Minuten» heute eingestellt und nur noch online betrieben wird, macht klar: Die Rechnung ging schlicht nicht mehr auf. Ob «20 Minuten» die grossen Werbeeinnahmen vom Print nun ohne Verluste in ihre Online-Portale transferieren kann, wird sich zeigen. Kaum ein Verlag verdient mit Online-Medien nachhaltig genug Geld.

Ein Umdenken muss auch bei den Leserinnen und Lesern stattfinden. Sie wollen bestens informiert sein – ob lokal, national oder international. Doch dafür bezahlen wollen sie heute kaum noch. Auf lange Sicht geht die Rechnung – auch online – so nicht auf. Denn auch Online-Medien kosten. So dürften – zu Recht – künftig auch Online-Meldungen vermehrt hinter Bezahlschranken gesetzt werden.

Barbara Tudor ist die Herausgeberin mehrerer gedruckter Lokalzeitungen im Zürcher Oberland und Herausgeberin der Online-Newsportale Zürioberland24, Uster24 und Pfäffikon24. Die dipl. Verlagsmanagerin ist seit über 25 Jahren in den Medien tätig. Aufgewachsen in Grüningen, lebt sie heute mit ihrer Familie in Gossau ZH. www.tudormedien.ch | www.tudordialog.ch

Barbara Tudor
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