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Gossau ZH
08.10.2025
08.10.2025 18:09 Uhr

Joe mit Nadel und breitem Grinsen

Tattoo-Team seit 30 Jahren – und noch immer keine Spur von Langeweile. Heidi und Joe in ihrem Studio in Ottikon.
Tattoo-Team seit 30 Jahren – und noch immer keine Spur von Langeweile. Heidi und Joe in ihrem Studio in Ottikon. Bild: isa
Wer sich im Zürcher Oberland ein Tattoo stechen möchte, kommt am Namen Joe Kilchör kaum vorbei. Der Künstler aus Ottikon (Gossau ZH) hat sich in 40 Jahren unzählige Male auf der Haut seiner Kundschaft verewigt – und das nicht nur in der Schweiz.

Man mag vom ersten Anblick überrascht sein, wenn man Joe Kilchörs Arbeitsplatz besucht. Denn der in Gossau und über die Gemeindegrenzen
bekannte Tattoo-Künstler empfängt seine Gäste nicht etwa in einer schummrigen Bude, sondern in hellen, fast schon steril wirkenden Räumen. Nur einige Totenköpfe und rockige Gadgets verraten seine Leidenschaft.

Zollikon – Westsamoa – Ottikon

Joes Weg zum Tattoo-Stechen war ungeplant. 1985 brach er als junger Mann in die Welt auf und blieb in Westsamoa hängen. Er war fasziniert von der polynesischen Tattoo-Kunst, die mit einfachstem Stock und Hammer funktioniert. Aus einfachen Materialien baute er sich das nötige Werkzeug zusammen und fing an, zu üben. «Es ist heute kaum vorstellbar, mit welch einfachen Geräten wir gearbeitet haben. Zum Beispiel mit zusammengelöteten Velospeichen als Nadeln», erinnert er sich. Auch sein erster Kunde und das Motiv sind ihm noch gut im Kopf: «Es war ein Hanfblatt. Und ich weiss noch, wie froh ich darüber war», lacht er und erklärt: «Meine Hände haben damals so gezittert, dass mir die zackigen Linien des Blatts sehr entgegengekommen sind.»

Sein erstes Tattoo-Geschäft eröffnete er in der Stadt Apia. «Ich war zur Miete in den Räumlichkeiten einer christlichen Organisation. Leider endete dieses Mietverhältnis nach dem ersten Besuch des Vermieters. Die Totenköpfe an der Wand haben ihm nicht so gefallen», sagt er mit einem Augenzwinkern. Daraufhin habe er einige Monate auf einem Schiff gearbeitet, bevor er 1987 wieder in die Schweiz zurückkehrte und vier Jahre später sein erstes Tattoo-Geschäft eröffnete. Seit 2005 gibt es Joes Tattoo & Piercing Studio in Ottikon.

Teamwork über drei Jahrzehnte

Nicht nur am Empfang, sondern auch in seinem Herzen, ist Heidi. Kennengelernt haben sich die beiden im Jahr 1984. Es begann mit einer herzigen Schwärmerei von Heidi als Teenager, als die coolen Töffjungs mit Zürcher Nummer in ihrem Wohnort Oberschan vorfuhren. «Joe besuchte dort regelmässig Freunde, und wir Mädchen waren natürlich beeindruckt», erinnert sich Heidi lächelnd. Aus der späteren Jugendliebe wurde eine Partnerschaft, die bis heute hält. Nach 30 Jahren «wilder Ehe» hat das Paar dieses Jahr geheiratet.

Die Partnerschaft funktioniere privat wie beruflich wunderbar. «Im Geschäft ist Joe der kreative Kopf und der Künstler», erzählt Heidi, die sich um die Administration und die Kundenberatung kümmert und so manchem Sujet den letzten Feinschliff verpasst. Dass die Arbeit Hand in Hand verläuft, spürt man schnell. Das Rezept für so viel Harmonie? «Wir ergänzen uns gegenseitig, haben Respekt füreinander und sind beide sehr friedliebend.»

Ruhige Arbeit, aktives Leben

Mit den Jahren hat sich die Tattoo-Kunst stark verändert. Joe ist seinem Stil aber treu geblieben. Am liebsten sticht er realistische Motive wie Tiere oder Porträts. Doch auch Sujets, die ihm persönlich weniger gefallen, setzt er präzise um. Mit einem Augenzwinkern sagt er: «Da bin ich dann aber froh, wenn niemand sagt, dass es von mir ist.» Es gebe aber auch No-Gos wie etwa rassistische Motive.

Dass Joe ein Meister seines Fachs ist, beweisen nicht nur unzählige zufriedene Kunden, sondern auch Pokale von Messen im Studio. Er selbst nimmt’s gelassen. Auf grosse Veranstaltungen ziehe es ihn kaum: «Ich arbeite am liebsten in Ruhe hier in unseren eigenen vier Wänden.» Der Blick in den
gepflegten Garten und ins nahe Naturgebiet macht dies gut verständlich.

Trotz ruhiger Atmosphäre bleiben Joe und Heidi aktiv. Reisen verbindet die beiden. «Grosse Töfftouren machen wir zwar nicht mehr, aber in Bewegung bleiben wir», sagt Heidi. Daneben lebt Joe seine Kreativität auch abseits vom Tätowieren voll aus – ob auf Papier oder in der Werkstatt. «Irgendwo gibt es immer etwas ‹zum Chlütere›.»

Isabella Schütz