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Gossau ZH
03.10.2024
03.10.2024 15:37 Uhr

Schule Gossau: Stösst die Miliz an ihre Grenzen?

Eignet sich das Milizsystem für die heutigen Herausforderungen der Schule? (Symbolbild)
Eignet sich das Milizsystem für die heutigen Herausforderungen der Schule? (Symbolbild) Bild: AdobeStock
Die Schulpflege Gossau ZH steht seit Wochen in der Kritik. Stösst das Milizsystem an seine Grenzen? Wir haben bei den sechs Ortsparteien nachgefragt. Stellung nehmen wollten nur zwei.

Anfang Juli 2024 schlugen Elternmitwirkungen von Gossau Alarm. Immer mehr Eltern und Lehrpersonen würden sich bei ihnen melden, weil sie mit der Führung der Schule Gossau unzufrieden seien. Die Elternmitwirkungen suchten das Gespräch mit der Schulpflege, ein Austausch fand statt. Zürioberland24 brachte damit ein Thema an die Oberfläche, das darunter schon lange brodeln muss.

Die Schulpflege, insbesondere deren Präsident, steht in der Kritik. Seit Juli erreichen uns fast täglich anonyme und offene Briefe und E-Mails von Eltern, Lehrpersonen und ehemaligen Lehrpersonen. Die Inhalte sind teils haarsträubend und lassen aufhorchen. Das Sprichwort «Wo Rauch ist, ist auch Feuer» dürfte zutreffen.

Mehrheit der Lehrerschaft unzufrieden

Ein IQES-Evaluationsbericht – eine Umfrage, die vor ein paar Monaten bei den Lehrpersonen von Gossau durchgeführt wurde – wurde unserer Redaktion ebenfalls zugespielt. Gemäss dieser Umfrage ist der Leitsatz «Wir handeln und kommunizieren transparent und verlässlich» am wenigsten spürbar.

In den seitenlangen freien Kommentaren ist oft von schwieriger oder gar schlechter Kommunikation die Rede. Bei der Frage zur Schulführung und ob die Trennung zwischen strategischen und operativen Aufgaben geregelt ist, sagen 61 % der Lehrpersonen «trifft nicht zu». Auch die Frage, ob die Schulpflege nahbar sei, beantworteten 51 % mit «trifft nicht zu». 39 % finden auch, dass die Führungsstrukturen pädagogische Zielsetzungen nicht unterstützen. Der Schulpflegepräsident nahm in einem Interview Stellung dazu und verspricht Verbesserungen.

Schulleiter krankgeschrieben

Auch in den Schulleitungen rumort es nicht erst seit gestern. Die Unzufriedenheit spiegelt sich in der Fluktuation wider. Im letzten Jahr kündigten z. B. gleich drei Lehrpersonen in der Aussenwacht Herschmettlen. Im Mai 2024 nahm der langjährige und beliebte Sek-Schulleiter den Hut, angeblich wegen einer schlechteren Mitarbeiterbeurteilung. Und nun hat auch der mit vier Jahren dienstälteste Schulleiter und Leiter Schulleiterkonferenz gekündigt (wir berichteten). Dieser ist seither krankgeschrieben. Am 30. September 2024 informierte die Schule Gossau die Eltern via Escola, dass derzeit nach einer externen Stellvertretung gesucht werde. Daraus könnte man ableiten, dass die Schule nicht damit rechnet, dass der Schulleiter bis zum Ende des Schuljahrs noch einmal zu seiner Arbeit zurückkehrt.

Miliz an der Schule noch zeitgemäss?

Die Herausforderungen an den Schulen – nicht nur in Gossau – sind enorm. Es drängt sich die Frage auf: Stösst das Milizsystem mit Personen, die sich nebenberuflich um einen so wichtigen Bereich wie die Bildung unserer Kinder kümmern, an seine Grenzen?

Wir haben sämtliche Ortsparteien von Gossau sowie das Politische Frauenpodium für eine Stellungnahme angefragt. Darunter befinden sich auch Mitglieder der Gossauer Schulpflege. Diese wollten unsere Fragen nicht beantworten. Stellung bezogen haben lediglich die SVP und SP.

Eva Frefel, Präsidentin der SP Sektion Gossau schreibt: «Zu den spezifischen Fragen zum Schulpräsidenten, dessen Kommunikation und zum spezifischen Schulleiterkonflikt kann ich als aussenstehende Person keine Stellung beziehen. Ich äussere mich aber gerne in meiner Funktion als Präsidentin der SP Gossau zur Schulproblematik allgemein.»

«Die Schule Gossau ist in vielerlei Hinsicht am Anschlag.»
Eva Frefel, Präsidentin SP Sektion Gossau

Die geschilderten Probleme der Schule Gossau seien im Kanton Zürich in ähnlicher Art ein bekanntes Phänomen, so Frefel weiter. Diese liessen sich aber nicht eindimensional erklären und verstehen. Interessant sei aber, dass solche Schwierigkeiten in andern Kantonen weniger häufig vorkommen würden. Die Schule Gossau sei in vielerlei Hinsicht am Anschlag. «Sie ist mit einer ungesunden Fluktuation, unausgebildeten Lehrpersonen (POLDIS) und unsteten Schulleitungen (Fachkräftemangel) konfrontiert.»

«Dem durchaus demokratischen Ansatz des Milizsystems sind auch Grenzen gesetzt. Eine politische Behörde ist nicht das geeignete Gremium für die Lösung individueller Schulschwierigkeiten.»
Eva Frefel

Die Schulpflegen seien in einem zunehmend schwierigen Spannungsfeld. «Dem durchaus demokratischen Ansatz des Milizsystem sind auch Grenzen gesetzt. Eine politische Behörde ist nicht das geeignete Gremium für die Lösung individueller Schulschwierigkeiten. Notwendig wäre eine Entflechtung der Aufgaben- und Führungsrollen.» Das würde wiederum für eine Leitung Bildung sprechen und im besten Falle zu einem Wechsel der Schulpflege zur Bildungskommission mit den Hauptaufgaben Bereitstellung Infrastruktur und Finanzen, so wie das in anderen Kantonen funktioniere. «Die Spannungsfelder sind vielfältig und sind ein Teil der Schule. Sie gehören dazu. Eine gute Schule verfügt über ein akzeptiertes und verständliches Konfliktmanagement auf allen Ebenen wie z. B. Unterricht, Klassenführung, Beurteilung, Schulhauskultur, Personal und Schulleitung.» Es sei der Schule Gossau zu wünschen, dass die aktuellen Konflikte einvernehmlich gelöst werden und sich der Fokus wieder auf die eigentliche Aufgabe der Schule richte.

Bezüglich Milizsystem sieht es Claudio Zanetti, Präsident der SVP Gossau, anders. Auf die Grenzen des Milizsystems angesprochen, sagt er: «Im Gegenteil, das Milizsystem sollte sogar gestärkt werden.» Man sehe am Beispiel der Kesb, wohin es führe, wenn Bürokraten Macht usurpierten. Das Wesen einer Volksschule bestehe darin, dass ihre Geschicke eben gerade nicht von weltfremden Bürokraten geleitet werden sollten. «Etwas mehr Bescheidenheit und demokratischer Geist würde allen Verantwortlichen der Volksschule gut anstehen.»

«Es muss jemand nicht Koch sein, um zu merken, dass eine Suppe versalzen ist.»
Claudio Zanetti, Präsident SVP Gossau ZH

Was den Schulpräsidenten von Gossau angehe, «tut er, was Aufgabe eines Schulpräsidenten ist. Er ist der Kommandant, zu dem ihn die Gossauerinnen und Gossauer gewählt haben.» Der Vorwurf, er sei ein Laie und darum zur Qualifikation von Schulleitern nicht befugt, sei Ausdruck ebendieser in Verwaltungsapparaten herrschenden Arroganz. «Es muss jemand nicht Koch sein, um zu merken, dass eine Suppe versalzen ist.»

«Es ist offensichtlich, dass das Vertrauen unter den verschiedenen Akteuren angeschlagen, vielleicht sogar unheilbar zerrüttet ist.»
Claudio Zanetti, Präsident SVP Gossau ZH

Zur aktuellen Situation an der Schule Gossau sagt er: «Es ist offensichtlich, dass das Vertrauen unter den verschiedenen Akteuren angeschlagen, vielleicht sogar unheilbar zerrüttet ist.» Da Gossau in dieser Hinsicht kein Einzelfall darstelle, seien die Ursachen wohl struktureller Natur. «Seit der Ära Buschor ist die Zürcher Volksschule von ständiger Unruhe geplagt. Eine Reform jagt die nächste. Die Kosten steigen mit einer unverantwortlichen Dynamik, während eine entsprechende Verbesserung der Bildungsqualität ausbleibt.»

Nicht hinnehmbar sei, dass in den zurückliegenden Monaten Behörden und Medien mit anonymen Schreiben voller Anschuldigungen überflutet wurden. «Wer auf solche Mittel zurückgreift, entzieht sich dem demokratischen Diskurs, was die Probleme, die einer Lösung harren, zusätzlich erschwert.»

Auf die Haltung des Gemeinderats angesprochen, sagt Zanetti: «Derzeit besteht keine Veranlassung für ein aktives Einschreiten des Gesamt-Gemeinderats.» Er begrüsse sogar, dass er anonymen Schreiben die Aufmerksamkeit zukommen lasse, die sie verdienen, indem er sie ignoriere.

Auf die Elternmitwirkungen angesprochen, sagt Zanetti: «Bei aller Begeisterung für Demokratie, kann es nicht angehen, dass 'Elternteams' in die Schulzimmer hineinregieren. Wir von der SVP fordern bekanntlich eine Stärkung der Position des Klassenlehrers. Er ist die verantwortliche Ansprechperson der Eltern.»

«Alle Akteure haben dafür zu sorgen, dass wieder Ruhe in der Gossauer Volksschule einkehrt. Oberste Verantwortung hat dabei die Schulpflege.»
Claudio Zanetti

Auf die nächsten Schritte angesprochen, meint Zanetti: «Alle Akteure haben dafür zu sorgen, dass wieder Ruhe in der Gossauer Volksschule einkehrt. Oberste Verantwortung hat dabei die Schulpflege. Sie ist vom Souverän genau dafür eingesetzt. Es darf nicht sein, dass Bildungsfunktionäre – so gebildet sie auch sein mögen – gegen gewählte Volksvertreter Obstruktion betreiben. Wer sich mit der gesetzlich vorgegebenen Hierarchie nicht abfinden kann, ist am falschen Platz. Es müssen sich alle am Riemen reissen und ihrem Versprechen, es gehe ihnen nur um das Wohl der Kinder, Taten folgen lassen. Auf Dauer dürfte das allerdings nicht reichen. Die Probleme sind letztlich konzeptioneller, also struktureller Natur. Was diese angeht, sind die Kantonalen Bildungspolitiker gefordert.»

Die SVP sehe derzeit keine Notwendigkeit für eine politische Intervention. «Wir stehen mit unseren Behördenmitgliedern im Austausch und sind sicher, dass sie sich zum Wohle der Volkschule einbringen. Mit Debora Heusser stellen wir schliesslich auch die Vizepräsidentin der Schulpflege. Sie und Stefan Hächler wissen, dass sie jederzeit auf die Unterstützung durch die SVP zählen können, sollten sie solcher bedürfen.»

Diese Fragen haben wir den Parteien gestellt

  • Wie beurteilen Sie persönlich die Situation der Schulpflege Gossau?
  • Kritisiert wurde der Schulpflegepräsident u.a. dafür, dass er Schulleitenden schlechte Beurteilungen gegeben habe, obwohl er ein Laie sei. Dies soll zur Kündigung des langjährigen Schulleiters Oberstufe geführt haben. Auch mit dem Schulleiter vom Chapf soll es Differenzen gegeben haben. Stösst das Milizsystem hier Ihrer Meinung nach an seine Grenzen?
  • Bei den Wahlen war die Kommunikation das Steckenpferd des Schulpflegepräsidenten. Dieses Ziel scheint er verfehlt zu haben. Was sagen Sie dazu?
  • Was sagen Sie dazu, dass der Schulleiter Chapf per sofort nicht mehr Mitglied der Schulleiterkonferenz ist und demnach keine Lehrperson mehr in dieser Konferenz vertreten ist?
  • Inwieweit sehen Sie den Gesamt-Gemeinderat in der Pflicht, aktiv zu werden, zumal diesen mittlerweile auch diverse Schreiben erreicht haben?
  • In einem Schreiben des Schulpflegepräsidenten weist dieser die Elternmitwirkung in die Schranken. Die Elternteams hätten keine Kompetenzen für einen Dialog über organisatorische, personelle oder strukturelle Themen. Was sagen Sie dazu?
  • Was sollten Ihrer Meinung nach die nächsten Schritte sein?
  • Planen Sie als Partei / Parteivertretende eine Intervention?

Themen-Dossier

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Barbara Tudor