Interview mit Reto Muggler, Co-Leiter Fischerei- und Jagdverwaltung
Wie haben sich die Wildschweinpopulationen in den letzten Jahren entwickelt? Und wo kommen die Schweine her?
Wildschweine, welche im Kanton Zürich leben, kommen aus Deutschland über den Rhein zu uns. In den frühen 70ern kam es zu einem ersten «Aufschwung» im Zürcher Weinland, welcher aber nicht lange anhielt. Einzelne Tiere waren immer mal wieder im nördlichen Teil des Kantons anzutreffen.
Seit den frühen 90ern wird der Kanton Zürich intensiv durch Wildschweine besiedelt. Was im Weinland und Unterland anfing, breitete sich während der letzten Jahre auch ins Zürcher Oberland aus. Seit einigen Monaten werden auch immer wieder Sichtungen im Amt gemeldet. Wildschweine haben eine ausserordentliche Vermehrungsrate. Die Literatur spricht von bis zu 250 Prozent jährlichem Zuwachs, abhängig von Lebensraum und Futterangebot. Das ist unter den grösseren Säugetieren in der Schweiz die höchste Reproduktionsrate.
Wildschweine sind schlau und anpassungsfähig. Wie nutzt man das, um sie zu lenken?
Wildschweine haben, wie viele andere Säugetiere, ein sogenanntes «Feindvermeidungsverhalten». Das heisst, sie versuchen den grossen Prädatoren, Wolf, Bär und jetzt auch Mensch, auszuweichen. Dort, wo eine erfahrene Bache Jungtiere an einen dieser Prädatoren verliert, wird sie ohne Not nicht mehr hingehen. Muss sie trotzdem diesen Ort aufsuchen, ist sie wesentlich scheuer und störungssensibel.
Wird also auf dem Feld ein Frischling aus einer Rotte mit einer erfahrenen Bache erlegt, ist die Chance gross, dass diese Bache das betroffene Feld für längere Zeit meidet. Dadurch wird sie «genötigt», andere Flächen oder Felder aufzusuchen und muss somit grössere Distanzen zurücklegen. Dies wiederum vergrössert die Chance, dass sie durch andere Jägerinnen oder Jäger nochmals bejagt wird. Das funktioniert nur, wenn die Jagd überall auf dem Feld erfolgt. Wird der Wald zusätzlich als sicher wahrgenommen, wird dort, sofern vorhanden, mehr Futter aufgenommen und Feldfrüchte werden somit verschont.
Wie sieht ein optimaler Schutz der Kulturen aus? Welche Massnahmen werden von der Fischerei und Jagdverwaltung konkret empfohlen?
Erfahrungsgemäss sind Mais, Weizen, Kartoffel und Wiesenflächen besonders gefährdet. Der dazu nötige Schutz ist sehr individuell und von Ort oder Jahreszeit abhängig. Der Schutz kann durch geruchliche Mittel, optische Störung oder mechanische Einzäunung getätigt werden. Keine dieser Massnahmen garantiert einen 100-prozentigen Schutz. Einige Massnahmen verlieren ihre Wirksamkeit nach wenigen Tagen oder Wochen. Hier kann Abwechslung helfen. Wir erarbeiten zurzeit einen Massnahmenkatalog, der helfen soll, sich für den geeigneten Schutz pro Kultur und Jahreszeit zu entscheiden.
Die landwirtschaftlichen Schutzmassnahmen müssen aber mit jagdlichen ergänzt und unterstützt werden, um einen optimalen Schutz zu bewirken.
Wer erstellt den Präventionsplan?
Für den Schutz an der Kultur direkt ist die Bewirtschafterin oder der Bewirtschafter verantwortlich. Im Idealfall sprechen sich Landwirtschaft und Jagd ab und entscheiden gemeinsam, wie der Schutz der Kulturen erreicht werden kann.
Welche Rolle hat die Gemeinde?
Die Gemeinde ist das verpachtende Organ und trägt somit auch eine Verantwortung, was die Jagdgesellschaft angeht. Sie entscheidet, wer auf ihrem Gemeindegebiet jagen darf. Sollte eine Jagdgesellschaft ihren gesetzlichen Verpflichtungen nicht nachkommen, so kann die Gemeinde, nach einer entsprechenden Verwarnung, den Pachtvertrag einseitig auflösen und das Revier neu ausschreiben.
Der Gemeinde kommt auch eine sehr wichtige vermittelnde Rolle zu. Konflikte zwischen Bevölkerung, Landwirtschaft, Jagdgesellschaft, Forst oder anderen sollten in erster Linie durch die Gemeinde gelöst oder vermittelt werden. Gemeinden sollten dies auch sehr ernst nehmen.
Wie sieht die Entwicklung der ausbezahlten Schutz- und Unterhaltsmassnahmen aus?
Die Schutzmassnahmen nehmen stetig zu. Dies ist aber auch so erwünscht, wir investieren lieber in die Prävention als in die Vergütung von Schäden. Weniger zugängliches Futter bedeutet eben auch weniger Nachwuchs. Die Unterhaltsmassnahmen werden erst seit zwei Jahren ausbezahlt, diese Entwicklung ist noch nicht absehbar.
Sauen sind sehr gewitzt. Bewundern Sie die Tiere auch ein bisschen?
Bewundern ist das falsche Wort. Sie faszinieren mich durch ihre extreme Anpassungsfähigkeit und ihre Lernfähigkeit. Sie leben in sehr sensiblen und klaren Sozialstrukturen, was sie auch so erfolgreich macht. Sie können sehr schnell auf Veränderungen ihres Lebensraumes reagieren und sich anpassen.
Ich bedaure aber auch, dass diese Tiere an manchen Orten als Parasiten und Schädlinge abgestempelt werden. Sie sind schon seit mehreren Tausend Jahren ein Teil unserer Natur, nur hat sich diese Umwelt in den vergangenen 150 Jahren sehr verändert. Wir müssen akzeptieren, dass die Wildschweine in unserer stark menschlich geprägten «Natur» auch ihren Platz haben sollten. Und wir müssen versuchen, die dadurch entstehenden Konflikte so gering wie möglich zu halten.