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Kanton
06.11.2025

Wildschweinmanagement

Hohe Wildschweinbestände stellen Landwirte im Kanton Zürich vor Herausforderungen.
Hohe Wildschweinbestände stellen Landwirte im Kanton Zürich vor Herausforderungen. Bild: Pixabay
Seit den 1990er-Jahren sind Wildschweine im Kanton Zürich wieder heimisch. Mit steigenden Beständen entstehen zunehmend Konflikte zwischen Landwirtschaft und Jagd, die nun durch ein koordiniertes Managementprojekt angegangen werden.

Wie der Kanton Zürich schreibt, sind Wildschweine seit Anfang der 1990er-Jahre definitiv wieder im Kanton heimisch. Aus wenigen Tieren entstand über die Jahre ein Bestand von geschätzt 2000 bis 3000 Tieren, der jährlich schwankt. Da Wildschweine nicht genau gezählt werden können, wird ihre genaue Zahl im Kanton wohl immer ein «Geheimnis» bleiben.

Anpassungsfähige Allesfresser

Wildschweine sind intelligente, anpassungsfähige Allesfresser, die sich sowohl an Feldfrüchte als auch an tierische Nahrung wie Mäuse, Pilze oder Aas halten. Sie gewöhnen sich schnell an menschliche Nähe, wie dies etwa in deutschen Grossstädten wie Berlin beobachtet wird. Auf Feldern und Wiesen können sie erheblichen Schaden anrichten, indem sie Wurzeln, Knollen oder Mais ausgraben.

Konflikte zwischen Jagd und Landwirtschaft

In den vergangenen Jahren kam es vermehrt zu Spannungen zwischen der Landwirtschaft, die durch Wildschäden belastet wurde, und der örtlichen Jagdgesellschaft. Die Jagenden erreichten die Grenzen ihrer Möglichkeiten, während Landwirtinnen und Landwirte eigene Schutzmassnahmen umsetzen mussten. Frust, finanzielle Einbussen und Ratlosigkeit waren die Folge.

Koordiniertes Managementprojekt

Ende 2024 startete die Fischerei- und Jagdverwaltung des Kantons Zürich zusammen mit dem Zürcher Bauernverband, dem Strickhof und JagdZürich ein Projekt, das darauf abzielt, Schäden an landwirtschaftlichen Kulturen zu reduzieren und den Wildschweinbestand im Kanton in einer gesunden Sozialstruktur zu halten.

Fachlich betreut wird das Projekt durch den Wildtierbiologen Dr. Stefan Suter von WildLife Solutions. Er weist darauf hin, dass Wildschweine auf Störungen wie Hunde, akustische Reize oder Abschüsse empfindlich reagieren und dass Abschüsse auf Feldern dazu beitragen können, die Tiere zu lenken. Alte, erfahrene Leitbachen sollten geschont werden, um die Erinnerung der Rotte zu erhalten. Die Nachtjagd im Wald allein verhindert keine Schäden auf den Feldern, weshalb eine zielgerichtete Bejagung auf gefährdeten Flächen empfohlen wird.

Landwirtschaftlicher Schutz und Prävention

Neben jagdlichen Massnahmen ist der aktive Schutz der Kulturen entscheidend. Felder, aus denen Wildschweine viel Energie gewinnen, sollten konsequent gesichert werden. In Gebieten mit besonders hohem Wildschweindruck können alternative Kulturen angebaut werden, die für die Tiere weniger attraktiv sind. Viele Schäden lassen sich zudem zeitlich vorhersagen, was eine gezielte Prävention ermöglicht. Kommunikation und Koordination zwischen Jagdgesellschaften und Landwirtschaft gelten dabei als essenziell.

Zielgerichtetes Vorgehen

Das Management setzt auf eine Kombination von Schutzmassnahmen, gezielter Bejagung und Beobachtung. Eine natürliche Rottenstruktur wirkt sich positiv auf das Verhalten der Wildschweine aus. Erfahrene Sauen lenken Rotten, alte Keiler verdrängen junge Tiere in der Paarungszeit und verhindern so unkontrollierte Fortpflanzung. Über die nächsten drei Jahre werden Abschüsse, Wildschäden und die Wirksamkeit der Massnahmen evaluiert, unterstützt durch einen Leitfaden des Strickhofs und der Fischerei- und Jagdverwaltung, der die effektivsten Massnahmen für verschiedene Kulturen erläutert.

Massnahmenkatalog

Quelle: Kanton Zürich, Fischerei- und Jagdverwaltung

Interview mit Reto Muggler, Co-Leiter Fischerei- und Jagdverwaltung

Wie haben sich die Wildschweinpopulationen in den letzten Jahren entwickelt? Und wo kommen die Schweine her?
Wildschweine, welche im Kanton Zürich leben, kommen aus Deutschland über den Rhein zu uns. In den frühen 70ern kam es zu einem ersten «Aufschwung» im Zürcher Weinland, welcher aber nicht lange anhielt. Einzelne Tiere waren immer mal wieder im nördlichen Teil des Kantons anzutreffen. 

Seit den frühen 90ern wird der Kanton Zürich intensiv durch Wildschweine besiedelt. Was im Weinland und Unterland anfing, breitete sich während der letzten Jahre auch ins Zürcher Oberland aus. Seit einigen Monaten werden auch immer wieder Sichtungen im Amt gemeldet. Wildschweine haben eine ausserordentliche Vermehrungsrate. Die Literatur spricht von bis zu 250 Prozent jährlichem Zuwachs, abhängig von Lebensraum und Futterangebot. Das ist unter den grösseren Säugetieren in der Schweiz die höchste Reproduktionsrate.

Wildschweine sind schlau und anpassungsfähig. Wie nutzt man das, um sie zu lenken?
Wildschweine haben, wie viele andere Säugetiere, ein sogenanntes «Feindvermeidungsverhalten». Das heisst, sie versuchen den grossen Prädatoren, Wolf, Bär und jetzt auch Mensch, auszuweichen. Dort, wo eine erfahrene Bache Jungtiere an einen dieser Prädatoren verliert, wird sie ohne Not nicht mehr hingehen. Muss sie trotzdem diesen Ort aufsuchen, ist sie wesentlich scheuer und störungssensibel.

Wird also auf dem Feld ein Frischling aus einer Rotte mit einer erfahrenen Bache erlegt, ist die Chance gross, dass diese Bache das betroffene Feld für längere Zeit meidet. Dadurch wird sie «genötigt», andere Flächen oder Felder aufzusuchen und muss somit grössere Distanzen zurücklegen. Dies wiederum vergrössert die Chance, dass sie durch andere Jägerinnen oder Jäger nochmals bejagt wird. Das funktioniert nur, wenn die Jagd überall auf dem Feld erfolgt. Wird der Wald zusätzlich als sicher wahrgenommen, wird dort, sofern vorhanden, mehr Futter aufgenommen und Feldfrüchte werden somit verschont.

Wie sieht ein optimaler Schutz der Kulturen aus? Welche Massnahmen werden von der Fischerei und Jagdverwaltung konkret empfohlen?
Erfahrungsgemäss sind Mais, Weizen, Kartoffel und Wiesenflächen besonders gefährdet. Der dazu nötige Schutz ist sehr individuell und von Ort oder Jahreszeit abhängig. Der Schutz kann durch geruchliche Mittel, optische Störung oder mechanische Einzäunung getätigt werden. Keine dieser Massnahmen garantiert einen 100-prozentigen Schutz. Einige Massnahmen verlieren ihre Wirksamkeit nach wenigen Tagen oder Wochen. Hier kann Abwechslung helfen. Wir erarbeiten zurzeit einen Massnahmenkatalog, der helfen soll, sich für den geeigneten Schutz pro Kultur und Jahreszeit zu entscheiden.

Die landwirtschaftlichen Schutzmassnahmen müssen aber mit jagdlichen ergänzt und unterstützt werden, um einen optimalen Schutz zu bewirken.

Wer erstellt den Präventionsplan?
Für den Schutz an der Kultur direkt ist die Bewirtschafterin oder der Bewirtschafter verantwortlich. Im Idealfall sprechen sich Landwirtschaft und Jagd ab und entscheiden gemeinsam, wie der Schutz der Kulturen erreicht werden kann.

Welche Rolle hat die Gemeinde?
Die Gemeinde ist das verpachtende Organ und trägt somit auch eine Verantwortung, was die Jagdgesellschaft angeht. Sie entscheidet, wer auf ihrem Gemeindegebiet jagen darf. Sollte eine Jagdgesellschaft ihren gesetzlichen Verpflichtungen nicht nachkommen, so kann die Gemeinde, nach einer entsprechenden Verwarnung, den Pachtvertrag einseitig auflösen und das Revier neu ausschreiben.

Der Gemeinde kommt auch eine sehr wichtige vermittelnde Rolle zu. Konflikte zwischen Bevölkerung, Landwirtschaft, Jagdgesellschaft, Forst oder anderen sollten in erster Linie durch die Gemeinde gelöst oder vermittelt werden. Gemeinden sollten dies auch sehr ernst nehmen.

Wie sieht die Entwicklung der ausbezahlten Schutz- und Unterhaltsmassnahmen aus?
Die Schutzmassnahmen nehmen stetig zu. Dies ist aber auch so erwünscht, wir investieren lieber in die Prävention als in die Vergütung von Schäden. Weniger zugängliches Futter bedeutet eben auch weniger Nachwuchs. Die Unterhaltsmassnahmen werden erst seit zwei Jahren ausbezahlt, diese Entwicklung ist noch nicht absehbar.

Sauen sind sehr gewitzt. Bewundern Sie die Tiere auch ein bisschen?
Bewundern ist das falsche Wort. Sie faszinieren mich durch ihre extreme Anpassungsfähigkeit und ihre Lernfähigkeit. Sie leben in sehr sensiblen und klaren Sozialstrukturen, was sie auch so erfolgreich macht. Sie können sehr schnell auf Veränderungen ihres Lebensraumes reagieren und sich anpassen.

Ich bedaure aber auch, dass diese Tiere an manchen Orten als Parasiten und Schädlinge abgestempelt werden. Sie sind schon seit mehreren Tausend Jahren ein Teil unserer Natur, nur hat sich diese Umwelt in den vergangenen 150 Jahren sehr verändert. Wir müssen akzeptieren, dass die Wildschweine in unserer stark menschlich geprägten «Natur» auch ihren Platz haben sollten. Und wir müssen versuchen, die dadurch entstehenden Konflikte so gering wie möglich zu halten.

Zürioberland24/gg