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Wetzikon
09.02.2024
15.02.2024 13:52 Uhr

Wohn-Initiative: visionär oder utopisch?

Ein Anliegen der Initianten ist u. a. eine gute Durchmischung der Mieterschaft. Im Bild: Wohnsiedlung Schöneich.
Ein Anliegen der Initianten ist u. a. eine gute Durchmischung der Mieterschaft. Im Bild: Wohnsiedlung Schöneich. Bild: Igual&Guggenheim Architekten ETH/Radek Brunecky, Zürich
Am 3. März 2024 wird in Wetzikon über die «Wohn-Initiative» und den Gegenvorschlag des Parlaments abgestimmt. SP Co-Präsident Saamel Lohrer und Rolf Müri, Präsident SVP Wetzikon, sagen im Interview, warum sie für bzw. gegen die Vorlage sind.

Saamel, gemäss Angaben des Bundesamts für Statistik beträgt der Anteil an Mietwohnungen in Wohnbaugenossenschaften in der Schweiz 7,7%, in der ganzen Region Zürich 14,4%. Ist eure geforderte Quote von 20% nicht utopisch?

Saamel Lohrer: Wie bitte? Dystopisch ist doch die Situation in der Immobilienwirtschaft! Der sogenannte Immobilienmarkt ist komplett defekt. Den Menschen in der Schweiz werden jährlich Milliarden an übersetzten Mieten aus der Tasche gezogen. Die Mieten in Wetzikon sind exorbitant gestiegen. Da müssen wir uns als Stadt Wetzikon überlegen, was wir tun können, um diesen volkswirtschaftlichen Supergau zu stoppen. Es braucht mehr gemeinnützige Wohnungen, also kollektives selbstbewohntes Eigentum.

Das Ziel der Initiative, dass 20% aller Mietwohnungen in Wetzikon gemeinnützig sein müssen, hat keinen zeitlichen Horizont. Für uns ist klar: Dieser Grundsatz muss verankert werden und es muss stetig auf dieses Ziel hingearbeitet werden. Mit dieser Initiative haben wir eine Lösung.

Was bringt eine Zielvorgabe ohne Zeithorizont?

Es gibt einige Gemeinden im Kanton Zürich mit gleichen oder ähnlichen Zielen. Beispiele dafür sind Dietikon, Winterthur oder Zürich. Dort, wo es diese Bestrebungen schon lange genug gibt, um Erfahrungswerte daraus abzuleiten, zeigt sich, dass ein Ziel für gemeinnützige Wohnungen für die Gemeinde und die Bevölkerung enorm wichtig ist. Damit Gemeinden weiterhin durchmischt bleiben und der Zusammenhalt in der Bevölkerung erhalten bleibt, ist ein Ziel, wie es die Wohninitiative fordert, sehr relevant.

Der Gegenvorschlag des Parlaments überzeugt euch nicht. Warum?

Im Vergleich mit der Initiative wurde der geforderte Anteil an gemeinnützigen Wohnungen im Gegenvorschlag des Parlaments halbiert. Das bedeutet, die Wirkung wird sich in Grenzen halten. Aber er ist besser als der Status Quo. Deshalb empfehlen wir auch zweimal Ja.

«Das Problem in Wetzikon ist, dass immer mehr Boden irgendwelchen Immobilienfonds gehört. Die haben nur ein Interesse: die maximale Rendite.»
Saamel Lohrer, Co-Präsident SP Wetzikon

Müssen Eigentümer bei Annahme der Initiative befürchten, ihr Land verkaufen oder im Baurecht an eine Genossenschaft abgeben zu müssen?

Kein Eigentümer muss vor dieser Initiative Angst haben! In der Schweiz gibt es dafür keine rechtliche Grundlage. Es ist die Stadt, die Land zukaufen und im Baurecht abgeben müsste, was für die Stadt im Übrigen ein sehr lukratives Geschäft wäre: Sie verdient an den Baurechtszinsen, die Wertsteigerungen des Bodens bleiben im Volksvermögen und die Mietenden zahlen weniger. Das ist win-win pur!

Ist es nicht legitim, dass ein Liegenschaftsbesitzer eine gute Rendite erzielen möchte, zumal er auch viel investiert hat? Sollte es nicht jedem Grundstückbesitzer freigestellt sein, ob er Luxuswohnungen oder günstige Familienwohnungen bauen will?

Das Problem in Wetzikon ist, dass immer mehr Boden und Liegenschaften irgendwelchen Immobilienfonds und Vermögensverwaltungen gehören. Die haben nur ein Interesse: die maximale Rendite. Ihnen ist egal, dass das Geld für die Miete zuerst verdient werden muss. Bei Genossenschaften ist das anders: Da bauen Menschen für Menschen.

Bauen Genossenschaften denn günstiger?

Unsere Initiative will nicht, dass günstiger gebaut wird. Der wichtigste Punkt an gemeinnützigen Wohnungen ist, dass auf überrissene Renditen verzichtet wird. Wir wollen, dass die Menschen in Wetzikon gut leben können. Sie sollen nur so viel bezahlen, wie die Wohnung auch tatsächlich kostet. Bei gemeinnützigen Wohnungen ist genau das der Fall. Die Mieten sind nachweislich rund 30% tiefer.

Wie soll sichergestellt werden, dass in den Wohnungen mit Kostenmiete auch wirklich Menschen leben, die finanziell weniger gut gestellt sind? Wer bestimmt die Kriterien dafür?

Die Einkommensverhältnisse haben nichts mit unserer Initiative und ihrem Ziel zu tun. Es geht generell darum, dass es mehr bezahlbare Wohnungen in Wetzikon geben soll und die Wohnungen wieder denjenigen gehören sollen, die sie nutzen und davon abhängig sind. Ganz Wetzikon braucht diese Initiative – nicht nur die mit einem kleinen Portemonnaie.

Also sollen auch Gutverdienende Wohnungen mit Kostenmiete mieten können?

Die Belegungsvorschriften werden von den gemeinnützigen Genossenschaften selbst bestimmt. Sie sind private Gesellschaften und nicht subventioniert, im Gegenteil. Oftmals ist ihnen wichtig, dass ihre Mieterschaft durchmischt ist. Das zeigen auch die Zahlen: Keine Gesellschaftsschicht ist in gemeinnützigen Wohnungen überrepräsentiert. Die Mieterinnen und Mieter von gemeinnützigen Wohnungen sind meistens ein Spiegel der Gesellschaft.

Die Stadt müsste die Quoten laufend überprüfen. Bläht das den Verwaltungsapparat nicht unnötig auf?

Der Kanton Zürich berechnet und veröffentlicht die Zahlen zu gemeinnützigen Wohnungen in Wetzikon bereits jetzt. Die sind im Grundbuch eingetragen. Es ist also ganz einfach.

Rolf, FDP und SVP Wetzikon sowie der Hauseigentümerverband sind gegen die Initiative. Was stört euch an der Initiative am meisten?

Rolf Müri: Die Idee, günstigen Wohnraum zu schaffen, tönt auf den ersten Blick verlockend und wird sicherlich im Grundsatz von niemandem generell abgelehnt. Es fragt sich aber, was die Gründe sind und wie die Politik und damit der Staat das Thema angeht. Mehr Regulierung und Eingriffe in die privaten Eigentumsrechte sind mit absoluter Sicherheit nicht die Lösung und kontraproduktiv.

Die allermeisten Vermieter sind zudem nicht die bösen Abzocker-Schreckgespenste, als die sie manchmal gerne dargestellt werden. Fast die Hälfte aller Wohnungen werden im Übrigen von Privatpersonen vermietet. Zudem vermieten auch viele institutionelle Anleger wie Pensionskassen, Immobilienfonds oder Versicherer zu anständigen Preisen. Sie sichern damit nebenbei unsere Altersrenten oder sind in anderer Weise wirtschaftlich gemeinnützig.

«Mit der Annahme der Initiative oder des Gegenvorschlags würden die Mieten nicht per se sinken! Es würden nur wenige die Möglichkeit haben, in günstigen Wohnungen zu leben.»
Rolf Müri, Präsident SVP Wetzikon

Also hat Wetzikon kein Problem mit hohen Mietpreisen?

Wetzikon hat, auch nach Aussagen der Stadt selbst, im Kantonsvergleich tiefe bis mittlere Mietzinsen sowie eine eher höhere Leerstandsquote als andere grössere Gemeinden im Bezirk. Die Situation im Wohnungsmarkt ist angespannt, aber nicht dramatisch. Mit der Annahme der Initiative und des Gegenvorschlags würden die Mieten nicht sinken! Es würde lediglich für eine ganz kleine Minderheit die Möglichkeit geschaffen, in günstigen Wohnungen zu leben.

Mit der Initiative entstünde immer mehr ein zweigeteilter Wohnungsmarkt: einerseits günstige Genossenschaftswohnungen und andererseits teurere Wohnungen auf dem freien Markt. Wenn man einen (gewinnorientierten) Anbieter von Wohnungen zwingen will, einen Teil seiner Wohnungen «preisgünstig» anzubieten, verteuern sich logischerweise alle anderen Wohnungen dieses Anbieters. Das schadet der Mehrzahl der Mieter und hat mit Solidaritätnichts zu tun. Diejenigen Mieter, welche sich nicht blenden lassen, weiterdenken und sich nicht mit billiger Klassenkampf-Rhetorik begnügen, haben ein ureigenes Interesse daran, zwei Mal Nein zu diesen Vorlagen zu stimmen.

Warum unterstützen FDP und SVP auch den Gegenvorschlag des Parlaments nicht?

Diese Initiative und damit verbunden ebenso der Gegenvorschlag des Parlaments schrammen am Ziel vorbei. Bei genauerer Betrachtung stellen sich Detailfragen, z. B. bezüglich zeitlicher Umsetzung. Der Gegenvorschlag ist nicht zielführender als die Initiative selbst. Auch er greift dirigistisch in den Markt ein und schafft mit den geforderten Rechenschaftsberichten nebenbei zusätzliche Bürokratie. Würde die Initiative angenommen und die Stadt kann das Ziel von 20% nicht erreichen, müsste sie aktiv am Immobilienmarkt auftreten. Aufgrund der hohen anstehenden Investitionen in den kommenden Jahren in die Stadtinfrastruktur (Schulhäuser, Fernwärmenetz, Feuerwehrgebäude usw.) verfügt Wetzikon nicht über die finanziellen Reserven, um Land zu erwerben.

FDP und SVP befürchten, dass mit Annahme der Initiative die Grundeigentümer gezwungen wären, ihre Baulandreserven entweder zu verkaufen oder im Baurecht an Genossenschaften abzugeben. Wie das?

20% der Wohnungen müssten gemäss Initiative im Besitz von gemeinnützigen Wohnbauträgern sein. Über derart grosse Baulandreserven verfügt die Stadt Wetzikon bei weitem nicht! Den Initianten gelingt es nicht, den Gegenbeweis zu erbringen. Um die Ziele der Vorlagen zu erreichen, müssten Private unter Missachtung ihrer Eigentumsfreiheit gezwungen werden, Baulandreserven zu verkaufen oder im Baurecht abzugeben.

«Die Stadt verfügt nicht über genügend Baulandreserven, um den Anteil von 20% zu erfüllen. Sie hat aufgrund der hohen an stehenden Investitionen keine finanziellen Reserven, um Land zu erwerben.»
Rolf Müri

Die Initianten entgegnen, dass es dafür keine rechtliche Grundlage gebe und Eigentümer nichts zu befürchten hätten...

Das ist einfach nicht ehrlich. Wir erinnern uns an das Energiegesetz, wo uns vorgegaukelt wurde, dass es den einzelnen Haushalt bloss mit ein paar Franken treffe. Die Konsequenzen kennen wir heute alle. Ehrlich wäre, zu sagen, dass es tatsächlich bei den einen und andern «Härtefällen» zu Eingriffen in die Eigentumsrechte kommen kann, weil keine anderen Lösungen vorliegen. Um die Ziele der Vorlage zu erreichen, könnte dann z. B. Zwang auf Gestaltungspläne ausgeübt werden.

Welche Lösungsansätze sehen Sie?

Wir sollten uns fragen, welche Neuzuzüger wir mit unserer Wohnbaupolitik, aber auch unserer Steuerpolitik anziehen wollen. Es braucht eine gute soziale Durchmischung wie auch den Zuzug wohlhabender Steuerzahler. Nur so hat Wetzikon die notwendigen finanziellen Mittel, um sich als attraktive Zentrumsstadt zu positionieren. Es kann nicht das Ziel sein, am Finanzausgleichstropf zu hängen und zum Armenhaus des Kantons Zürich zu werden.

Barbara Tudor