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Gossau ZH
10.05.2023
30.05.2023 07:53 Uhr

«Die Langweidstrasse muss aus dem Navi verschwinden»

Viele kamen zur Informations-Veranstaltung, organisiert vom Dorfverein Grüt.
Viele kamen zur Informations-Veranstaltung, organisiert vom Dorfverein Grüt. Bild: Barbara Tudor
Am 9. Mai 2023 lud der Dorfverein Grüt zu einer Info-Veranstaltung zur Verkehrssituation an der Langweidstrasse. Gekommen sind viele. Ebenso viele Fragen sind unbeantwortet geblieben. Und doch scheint für die Betroffenen endlich Bewegung in die Sache zu kommen.

Aus vielen Richtungen sind die Grütner:innen an dem trüben Dienstagabend zum Mehrzwecksaal Wolfrichti gekommen, um sich über die Verkehrssituation an der Langweidstrasse zu informieren. Der Saal war fast voll.

Christian Bühlmann vom Vorstand des Dorfvereins Grüt begrüsste die Anwesenden. Der Abend solle den verschiedenen Anspruchsgruppen eine Plattform bieten und den Austausch mit der Gemeinde ermöglichen. Er schickte gleich vorweg, dass man den Anspruch an eine zivilisierte Info-Veranstaltung habe. Wohl im Wissen, dass die Emotionen im Laufe des Abends noch hochkochen könnten.

Gemeinderat zu Gast

Anschliessend übergab Bühlmann das Wort an den Gemeindepräsidenten Jörg Kündig. Dieser freute sich über das zahlreiche Erscheinen. Es sei aber auch ein Indiz dafür, dass das Thema viele beschäftige.

Kündig machte eingangs klar, dass man heute Abend keine Lösungen finden werde. Der Gemeinderat sei weder als Präsentationsgruppe noch als Schiedsrichter vor Ort. «Wir sind da zum Zuhören.»

Dauerthema seit 1999

Die Verkehrssituation an der Langweidstrasse ist nicht neu. In einer kurzen Übersicht fasste Jörg Kündig zusammen, was in den vergangenen Jahren bzw. Jahrzehnten bezüglich Langweidstrasse getan wurde. Bereits 1999 hatte man erste Massnahmen mit Betonelementen erarbeitet. Damals sei es v.a. darum gegangen, den Verkehr zu verlangsamen. 2006 wurde Tempo 30 eingeführt.

Im Jahr 2016 wurde eine neue Planung an die Hand genommen und das Projekt, welches eine Neugestaltung der Strasse mit Trottoir vorsah, ein Jahr später vorgelegt. Dieses habe jedoch zu diversen Einsprachen geführt. Da man keinen Konsens finden konnte und man den juristischen Weg vermeiden wollte, habe man entschieden, es fallen zu lassen. Untätig sei man deswegen aber nicht gewesen, betont Kündig.

Verbot für Lastwagen bringt wenig

In einem weiteren Schritt wollte man die Situation verbessern, in dem man die Strasse zumindest für den Lastwagenverkehr sperrt. Eine Messung habe jedoch ergeben, dass der Schwerverkehr mit ca. 30 Lastwagen am Tag nur 2,8 % des Verkehrs auf der Langweidstrasse ausmache und ein Verbot also wenig bringen würde.

Dann die Vollsperrung

Im Dezember 2022 dann wurde die Langweidstrasse zu Testzwecken vollgesperrt. Die Sperrung sei mit der Stadt Wetzikon abgesprochen worden, auch wenn diese davon nicht begeistert gewesen sei.

In dieser Zeit wurden auf verschiedenen umliegenden Strassen Messungen durchgeführt. Erwartungsgemäss sind die umliegenden Strassen (Hard-, Heusberg-, Mediker-, Bertschiker- und Schönenwerdstrasse) mehr belastet worden. Die Sperrung sei von den Verkehrsteilnehmenden gut eingehalten worden. Die Sperrung habe aber auch diverse Reaktionen – mehrheitlich negative – ausgelöst, so Kündig.

Bürger-Panel für Lösungsfindung

Der nächste Schritt der Gemeinde ist nun die Erarbeitung eines Verkehrsplans auf Gemeindeebene (Zürioberland24 berichtete). Dabei soll die Gossauer Bevölkerung bewusst mit einbezogen werden.

Zu Beginn des Prozesses werden die Anliegen und Bedürfnisse in Bezug auf die bestehende Verkehrssituation in der Gemeinde mittels eines "Bürgerpanels" erhoben. Dazu sei eine Anzahl Personen nach dem Zufallsprinzip ausgewählt und angeschrieben worden. Danach folgen Workshops, zu denen alle Interessierten eingeladen sind. Das Ziel sei, der Gemeindeversammlung im 2024 einen Antrag unterbreiten zu können.

«Die Langweidstrasse muss aus den Navis raus.»
Anwohner

Durchgangsverkehr soll weg

Im Anschluss präsentierte Simon Leibundgut, Vertreter der IG Langweidstrasse, ihre Sicht der Dinge. Seit vielen Jahren sei die Verkehrssituation an der Langweidstrasse ein Thema, und doch passiere nichts. Verschiedene Messungen hätten ergeben, dass 90 % des Verkehrs Durchgangsverkehr ist und nur gerade 10 % Anwohnerverkehr. Darüber hinaus habe seit 2015 ein Zuwachs von 45 % stattgefunden. Zum Vergleich: Auf dem umliegenden, übergeordneten Strassennetz hat der Verkehr lediglich um 6–10 % zugenommen.

Pro Jahr zählt die Langweidstrasse laut Messungen 675'000 Fahrten. Für ein Quartier in der Grösse der Langweidstrasse sei ein Verkehr von 67'000 Fahrten normal. Genau dafür kämpft die IG Langweidstrasse: Dass der Durchgangsverkehr mit geeigneten Massnahmen auf das übergeordnete Strassennetz gelenkt wird, wie das im Verkehrsrichtplan auch vorgeschrieben sei. Denn bei der Langweidstrasse handle es sich um eine Quartier-Erschliessungsstrasse.

Ein Anwesender ergänzt: «Die Langweidstrasse muss raus aus den Navi-Systemen.» Denn das verursache den hohen Durchgangsverkehr. Wenn in Wetzikon Stau angezeigt werde, würden die Navigationssysteme die Langweidstrasse als Ausweichroute angeben.

Abschliessend sagt Simon Leibundgut: «Der Verkehr wird weiter zunehmen. Das Problem löst sich nicht von alleine.» Der Druck auf die Schleichwege, nicht nur an der Langweidstrasse, werde zunehmen. Nichts zu unternehmen sei längst keine Option mehr. Es gehe der IG Langweidstrasse nicht darum, anderen zu schaden. Es gehe darum, dass man Situationen anerkenne und Bereitschaft zeige, über Dinge zu diskutieren. Die Worte wurden mit grossem Applaus im Saal unterstützt.

«An der Langweidstrasse zu wohnen, ist eine elende Plage.»
Anwohner

Leidensdruck bei vielen hoch

Dass der Leidensdruck für die Anwohnenden an der Langweidstrasse gross ist, bekam man an diesem Abend hautnah zu spüren. Ein älterer Herr sagte: «An der Langweidstrasse zu wohnen, ist eine elende Plage.» Ab 6 Uhr sei fertig mit schlafen, auch nachts werde man immer wieder geweckt. «Die Wohnqualität ist am Boden.» Seit Jahrzehnten probiere man sich einzusetzen, habe Besprechungen, es gebe Kommissionen, Workshops. «Aber was passiert jetzt wirklich?», fragte er in die Runde.

«Auch an die Kinder denken»

Eine Anwesende brachte ein, dass man auch an jene denken müsse, die hier nicht sprechen könnten: die Kinder. Die Situation sei gefährlich. Der Schleichverkehr habe auch auf der Lindenhofstrasse zugenommen, wo viele Kindergärtner unterwegs sind.

Auch in Bertschikon fordert man Taten

In Bertschikon scheint der Leidensdruck ebenfalls gross. Anfang Jahr hat sich die IG Hardstrasse formiert. Hans Peter Derksen, Vertreter der IG Hardstrasse, richtete ein paar Worte an die Anwesenden und adressierte direkt an den Gemeinderat, dass man Massnahmen zur Bändigung des Verkehrs fordere. Auch kritisierte Derksen wiederholt die fehlende Kommunikation seitens Gemeinde über die geplante Testsperrung.

Die IG Hardstrasse will Tempo 60 ausserorts und ein Lastwagenverbot ab 3,5 Tonnen. Gemeinderätin Elisabeth Pflugshaupt sagte dazu, dass man das bereits mehrfach mit der Kantonspolizei angeschaut habe. Ausserorts gebe es kein Tempo 60 und für ein Lastwagenverbot gebe es auf der Hardstrasse zu wenig Verkehr. Man habe die Situation auf der Hardstrasse aber anderweitig verbessert, u.a. dadurch, dass die Strasse jetzt überall gleich breit sei und die Fahrzeuge sicher kreuzen könnten. Das habe man erreichen wollen.

Nicht nur Befürworter der Sperrung

In Grüt gibt es aber nicht nur Befürworter einer Sperrung. So brachte ein Anwesender ein, dass die Anwohnenden von Grüt nicht zum Durchgangsverkehr gezählt werden dürften, diese die Langweidstrasse also trotz eines allfälligen Fahrverbots befahren sollen können. Wie dies umsetzbar sein soll, sei allerdings eine andere Frage.

Ein älterer Herr gab zu bedenken, dass sich das Verkehrsproblem bei einer Sperrung der Langweidstrasse u.a. auch auf die Grütstrasse verlagere. «Dann haben wir zu Stosszeiten einen Stau vom Grüt bis runter nach Gossau.»

Gemeinderat ist gefordert

Verschiedene Anwesende kritisierten den Gemeinderat, dass in der Sache nichts oder zu wenig getan werde. Ein Herr warf der Gemeinde gar vor, man "ducke" sich gegenüber der Stadt Wetzikon. Ein Anwesender sagt: «Es ist wie Rumeiern. Jeder schiebt dem anderen den schwarzen Peter zu.» Gegen diesen Vorwurf wehrte sich Jörg Kündig klar. Zur Aufgabe der Politik gehöre es u.a., einen Konsens zu finden. Man sei in engem Austausch mit der Stadt Wetzikon.

Gemeinderat Daniel Baldenweg, Ressortvorsteher Hochbau und Planung, fügte hinzu: «Auch die Stadt Wetzikon ist gefordert. Auch sie müssen auf ihren Strassen mehr Verkehr aufnehmen, als eigentlich dafür vorgesehen ist.» Alle würden mit den gleichen Problemen kämpfen. Verkehrsthemen könne man darum nicht nur losgelöst von anderen betrachten.

Von Ampelsystem bis Maut

Im Laufe des Abends kamen verschiedene Varianten zur Sprache, wie man der Situation Herr werden könnte. Von einem Wochenend-Fahrverbot, einem Fahrtenkontingent, einem Ampelsystem bis hin zu Batches für Anwohnende oder Hinweisschildern «Diese Strasse ist für den Lastwagenverkehr nicht geeignet» wurden viele Ideen eingebracht.

Noch ein langer Weg...

Die Langweidstrasse ist gut 500 Meter lang. Der Weg bis zur Lösungsfindung scheint aber um vieles länger. Bis dahin dürfte die Langweidstrasse für die Anwohnenden vor allem eines sein: eine Langleidstrasse.

Der heutige Austausch war überfällig, und es ist dem Dorfverein Grüt zu verdanken, dass sie alle Anspruchsgruppen an einen Tisch bzw. in einen Saal gebracht hat. Gemeindepräsident Jörg Kündig versprach, zuzuhören und die Inputs mitzunehmen. Mit dem geplanten Verkehrskonzept und der Einbindung der Bevölkerung geht die Gemeinde einen wichtigen weiteren Schritt.

Was die Info-Veranstaltung aber vor allem gezeigt hat: Es braucht alle. Es braucht gegenseitiges Verständnis. Und es braucht die Erkenntnis, dass – welche Lösung auch immer es werden wird – es für niemanden perfekt sein wird. Wenn sich alle in die geplanten Workshops einbringen und ihre Ideen konkretisiert werden können, stehen die Chancen gut, dass am Ende eine für alle akzeptable Lösung gefunden werden kann.

Barbara Tudor