- Leserbrief
Das Schweizerische Sozialarchiv in Zürich hat 2013 das Russlandschweizer-Archiv vom Historischen Seminar der Universität Zürich, Osteuropaabteilung, übernommen. Dass in der Schweiz ein Russlandschweizerarchiv existiert, ist allein schon ein Beweis für die Wichtigkeit Russlands als Wunschziel für Schweizer Auswanderer, die gezwungen waren, sich anderswo eine Existenz aufzubauen oder eine berufliche Ausbildung zu absolvieren.
Anlässlich des Lehrlingswettbewerbes 2018 in Pfäffikon referierte Alina Kachkarova, eine Ukrainerin aus Dnipro (russisch Dnipropetrowsk), über Migration. Sie war damals im ersten Lehrjahr als Kauffrau bei einer Archivierungsfirma in Rüti ZH und war zusammen mit ihrer Ausbildungspartnerin Nicole Brechbühler, deren Mutter Russin ist, verantwortlich dafür, dass zum ersten Mal in der Geschichte des Lehrlingswettbewerbes ZüriOberland eine Wettbewerbsarbeit auch in russischer Sprache verfasst wurde.
Von einem Krieg Russland’s gegen die Ukraine ahnte damals in der Schweiz noch niemand etwas, obwohl ja der Krieg, welcher den Angriff Russland’s letztlich ausgelöst hat, bereits seit langem lief.
Dass aber aus der Schweiz Tausende nach Russland ausgewandert sind, darauf wiesen die Wettbewerbs-Teilnehmerinnen – nebst den bereits Genannten noch Betina Fetaj (Kosovo-Albanerin) und Karla Jovic (Kroatische Diplomatentochter) – mit allen notwendigen Belegen hin. Alina Kachkarova sagte auch, dass in ihrem Falle die Migrationsbilanz ausgeglichen sei, denn gut hundert Jahre, bevor sie in die Schweiz gekommen sei, sei Anna Maria Tschudi (das Annamigeli im Mordprozess gegen Anna Göldi), verheiratet mit Markus Oertli, nach Russland ausgewandert. Da sei sie auch, ziemlich jung noch, gestorben und habe ihre ewige Ruhe in russischer Erde gefunden.
Im 19. Jahrhundert dann warb Russland Fachleute in der Schweiz zum Aufbau einer Milchwirtschaft an. „Schweizereien“ wurden in der Folge die Molkereien genannt.
Die Migration dieser Schweizerinnen und Schweizer nach Russland ging in die Geschichte ein als Migration von Spezialisten. Nicht mehr nur Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher fanden den Weg ins Zarenreich, sondern zunehmend mehr auch Offiziere, Wissenschaftler, Aerzte, Architekten und Theologen. Es entstanden Schweizerische Firmen in der Textilindustrie, der Uhren- und der Glühlampen-Fabrikation und der Teppichweberei.
Wenn dann auch viele durch die Revolutionswirren in Russland ihre Existenz verloren und in die Schweiz heimkehrten, so sind doch Tausende und Abertausende im ganzen riesigen Russland verstreut geblieben und ihre Nachfahren sind noch immer da. Wir tun also gut daran, in diesen schwierigen Zeiten zu versuchen, das derzeit grassierende Russlandbild einmal mit anderen Augen zu betrachten und nicht zu vergessen, dass das russische Volk ein Volk ist wie jedes andere, abhängig von Führern, die, bis sie wieder ausgetauscht werden, vieles falsch machen. All diese Fehler weltweit sind aber kein einziges Menschenleben wert! Also muss der Krieg in der Ukraine gestoppt werden, sofort!